Das Selbsthilfebüro KORN hilft Menschen in persönlichen Krisensituationen dabei, Mitbetroffene und passende Hilfsangebote zu finden. KORN steht für KOordinationsstelle Regionales Netzwerk und ist seit 30 Jahren die zentrale Anlaufstelle zum Thema Selbsthilfe in der Region Ulm, Neu-Ulm und dem Alb-Donau-Kreis. Der gemeinnützige Verein ist durch einen Kooperationsvertrag eng mit dem Universitätsklinikum Ulm verbunden und dort der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie zugeordnet.
Zum 30. Jubiläum haben wir mit Geschäftsführerin und Dipl.-Sozialarbeiterin Christine Lübbers und Dipl.-Sozialpädagogin Lydia Ringshandl gesprochen. Die beiden betreuen als hauptamtliche Mitarbeiterinnen das Selbsthilfebüro KORN am Oberen Eselsberg. Ein Gespräch über Erfolge und neue Herausforderungen für die Selbsthilfe und darüber, was die Gruppen bis heute leisten – jenseits des berühmten Stuhlkreises.
Wer kann sich an das Selbsthilfebüro KORN wenden?
KORN hilft Bürger*innen, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden und navigiert durch den Dschungel an Unterstützungsangeboten und Selbsthilfegruppen. Neue und bestehende Selbsthilfegruppen erhalten auf Wunsch professionelle Unterstützung und Beratung, in allen Fragen rund um die Selbsthilfe.
KORN ist vernetzt mit vielen Akteuren aus dem Gesundheits- und Gemeinwesen, in zahlreichen Gremien und Arbeitskreisen vertreten und vernetzt zudem die ehrenamtlich Aktiven der Selbsthilfegruppen untereinander.
Wie hat sich die Selbsthilfe in den letzten 30 Jahren verändert?
Die Selbsthilfe hat sich in den letzten 30 Jahren gut in der Gesellschaft etabliert und ist mit ihrer Erfahrungs- und Betroffenenkompetenz mittlerweile ein anerkannter Teil der Gesundheitsversorgung. Selbsthilfegruppen werden daher auch als vierte Säule im Gesundheitswesen bezeichnet: Neben der ambulanten, der stationären und der öffentlichen Gesundheitsfürsorge. Selbsthilfegruppen können eine medizinische oder therapeutische Behandlung nicht ersetzen, aber sehr gut ergänzen.
Kliniken und Ärzt*innen arbeiten patientenorientiert und beziehen die Betroffenen-Perspektive und das Wissen der Patient*innen über ihre Erkrankung (Experten in eigener Sache) mit in die Behandlung ein. Im Universitätsklinikum in Ulm gibt es den Arbeitskreis der Patientenvertreter*innen im CCCU (Cancer Comprehensive Center Ulm). Hier begegnen sich regelmäßig Vertreter*innen von Krebs-Selbsthilfegruppen und Ärzt*innen auf Augenhöhe, tauschen sich aus und planen gemeinsame Veranstaltungen.
Die Zusammenarbeit mit professionellen Einrichtungen im Gesundheitsbereich, Vertretung in Gremien und Mitwirkung bei Zertifizierungen hat auch zu einer zunehmenden Professionalisierung der Selbsthilfe beigetragen. Auch die finanzielle Situation der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe hat sich verbessert. Seit 2008 sind die Krankenkassen gesetzlich dazu verpflichtet, gesundheitsbezogene Selbsthilfegruppen und auch die Selbsthilfekontaktstellen finanziell zu fördern.
Thematisch hat in den letzten Jahren der Anteil der Selbsthilfegruppen mit psychischen Erkrankungen stark zugenommen. Insbesondere das Thema Depression wird häufig nachgefragt von Hilfesuchenden.
Warum sind Selbsthilfegruppen nach wie vor so wichtig?
Selbsthilfe wird mehr denn je gebraucht: In Zeiten überlasteter Gesundheitssysteme, der Vereinsamung vieler Menschen, wegen des Auseinanderbrechens familiärer Strukturen, Urbanisierung und in Anbetracht des bevorstehenden demographischen Wandels.
In Selbsthilfegruppen stärken sich Menschen gegenseitig, um herausfordernde Lebenssituationen zu bewältigen. Die Teilnehmer*innen entwickeln eine vertrauensvolle Beziehung zueinander und erfahren Verständnis von Gleichbetroffenen. Zu sehen, dass es Anderen genauso geht, nicht allein zu sein mit seinem Problem und sich mitteilen zu können, hilft beim Umgang mit einer schwierigen Lebenssituation. In Selbsthilfegruppe entstehen oftmals auch lebenslange Freundschaften.
Mit welchen Herausforderungen haben die Selbsthilfegruppen aktuell zu kämpfen?
Viele Selbsthilfegruppen sind mit einem Generationswechsel konfrontiert und suchen Nachfolger*innen für die Leitung. Für viele Menschen ist es aber immer weniger attraktiv, sich langfristig zu engagieren. Mitgliedergewinnung und Mitgliederaktivierung gehören also zu den größten Herausforderungen, mit denen die Selbsthilfe derzeit zu kämpfen hat. Zudem befindet sich die Selbsthilfe im Wandel, vor dem Hintergrund sich stetig verändernder Kommunikationswege und Austauschformen. Die Selbsthilfe braucht sowohl online gestützte Kommunikationswege als auch Angebote zum Austausch in der persönlichen Begegnung.
Wie läuft ein Treffen ab?
Das ist ganz unterschiedlich. Jede Gruppe entscheidet selbst, wie sie die Treffen gestalten möchte. Es gibt Selbsthilfegruppen, die sich klassisch im Stuhlkreis treffen, aber auch Gruppen, die ganz ungezwungen z.B. in einer Gaststätte zusammenkommen. Je nach Thema, Ziel und Zusammensetzung findet jede Gruppe ihren eigenen Stil.
Trotz aller Unterschiede gibt es aber auch viele Gemeinsamkeiten im Vorgehen: Die Treffen finden regelmäßig an einem neutralen Ort statt, nicht im privaten Rahmen. Dabei gilt für alle Gruppen die oberste Regel Vertraulichkeit: Was in der Gruppe gesprochen wurde, bleibt in der Gruppe und wird nicht nach außen getragen. Ein weiteres wesentliches Merkmal ist, dass die Treffen ohne professionelle Leitung stattfinden. Die Teilnehmer*innen sind alle selbst oder als Angehörige vom gleichen Thema betroffen. In der Regel gibt es eine Gruppenansprechperson, die meist auch Leitungsaufgaben übernimmt. Idealerweise übernehmen alle Gruppenteilnehmer*innen Verantwortung für die Gruppentreffen und moderieren die Gespräche abwechselnd. Und: Selbsthilfegruppen sind nichts für Menschen in akuten Krisen.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute zum 30. Geburtstag!
Ansprechpartnerinnen:
Christine Lübbers und Lydia Ringshandl
Selbsthilfebüro KORN e. V.
Tel.: 07 31 / 88 03 44 10
Albert-Einstein-Allee 23
89081 Ulm
Zur Pressemitteilung zum 30. KORN-Jubiläum.
Weitere Infos zum Selbsthilfebüro KORN finden Sie hier.