Arbeitsgruppe Teilhabe

Leitung: PD Dr. rer. nat. Susanne Jaeger

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    PD Dr. rer. nat. Susanne Jaeger, Dipl.-Psych.

    Schwerpunkte

    Gemeindepsychiatrische Versorgungsangebote

    Autonomie und Lebensqualität von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen

    Qualitative und quantitative Methoden

Die AG Teilhabe umfasst ein breites Feld von Forschungsaktivitäten, die sich mit Lebenslagen von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und Behinderungen, mit den Versorgungskonzepten und Behandlungselementen zur Verbesserung ihrer psychischen und sozialen Situation und den hierfür notwendigen Veränderungsprozessen beschäftigen. Wichtige Merkmale sind ein sozialpsychiatrisches Verständnis von Versorgung, die sektorenübergreifende Perspektive, ein starker Praxisbezug mit Fokus auf Stärkung von Teilhabe sowie die Weiterentwicklung von entsprechenden Versorgungsansätzen.

Schwerpunkte

  • Erfassung und Analyse von Versorgungs- und Behandlungswegen
  • Wissenschaftliche Begleitung von Umstrukturierungsmaßnahmen von Behandlungseinheiten
  • Evaluation von sektorübergreifenden Behandlungs- und Versorgungsstrukturen
  • Auswirkungen von Personaleinsatz und -struktur

Laufende Projekte

Susanne Jaeger, Yamara Wessling / Silvia Krumm (federführend) (Günzburg/Ulm)

Hintergrund: Internationalen Publikationen zufolge sind Frauen mit psychischen Erkrankungen im Umgang mit reproduktiven Aspekten häufig mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Für Deutschland gibt es bislang keine umfassenden Daten.

Forschungsfragestellung: Wie häufig sind ungewollte Schwangerschaften bei Frauen mit im Vergleich zu Frauen ohne psychischen Erkrankungen? Welchen Ausgang nehmen die Schwangerschaften? Welche besonderen Belastungsfaktoren kennzeichnen die Situation der Frauen und welche Unterstützung finden sie?

Methode: Das Forschungsprojekt ist ein Teilprojekt der bundesweiten Survey-Studie ELSA zu den Lebenslagen und zum Unterstützungsbedarf ungewollt schwanger gewordener Frauen, das vom BMG gefördert wird. Die quantitative Auswertung des Ulmer Teilprojekts, in dem die besonders vulnerable Gruppe der Frauen mit psychischen Erkrankungen genauer beleuchtet wird, basiert auf einer deskriptiven Analyse der Survey-Daten – einerseits auf lifetime-Ebene, andererseits auf der Ereignis-Ebene (Umstände der jüngsten ungewollt aufgetretenen Schwangerschaft). Zudem werden Zusammenhänge mit Ausgang, Lebensumständen und Unterstützungserfahrungen in der psychiatrischen bzw. gynäkologischen Versorgung untersucht und Prädiktoren für eine besondere psychische Belastung evaluiert.

Ergebnisse: Frauen mit psychischen Erkrankungen werden im Laufe ihres Lebens ebenso häufig schwanger wie Frauen ohne psychische Erkrankungen; allerdings sind ihre Schwangerschaften häufiger ungeplant oder ungewollt eingetreten und die sozioökonomischen Lebensumstände zum Zeitpunkt des Eintritts sind in vielerlei Hinsicht belastender. In der psychiatrischen Behandlung der Frauen nehmen die Themen Kinderwunsch und Schwangerschaft wenig Raum ein. Umgekehrt fühlen sich viele Frauen in der gynäkologischen Behandlung bei Fragen im Zusammenhang mit ihrer psychischen Erkrankung und Schwangerschaft unzureichend unterstützt.

Ethikvotum: Ein positives Votum der Ethikkommission der Hochschule Fulda vom 27.4.2021 liegt vor (Az.: 3.1.9.2–kkm).

Aktueller Stand: Die Daten sind weitgehend ausgewertet. Erste Publikationen in Fachzeitschriften sind in Arbeit.

Erich Flammer, Raoul Borbé, Anna-Carina Bedenk (Doktorandin Universität Ulm), Sara Estefanía Jáuregui Buitrago (Doktorandin Universität Ulm), Tilman Steinert

Hintergrund: Die UN-BRK, 2008 vom Deutschen Bundestag ratifiziert, legt ein soziales Modell von Behinderung zugrunde und fordert eine grundsätzliche Abkehr vom stellvertretenden Handeln für den Betroffenen hin zur Unterstützung der eigenständigen Handlungsfähigkeit. Grundlegende Prinzipien sind dabei Respektierung der individuellen Freiheit und Autonomie, Nicht-Diskriminierung, Zugänglichkeit und Inklusion.

Forschungsfragestellung: Anhand eines Fragebogens soll untersucht werden, inwieweit die UN-Konvention im Alltag von Menschen mit einer psychischen Erkrankung als umgesetzt erlebt wird.

Methode: Mittels eines eigens entwickelten Fragebogens (Weissenauer Fragebogen zu Menschenrechte und Teilhabe WFB-MuT) wurden 130 Klient*innen von gemeindepsychiatrischen Verbünden und 138 Patient*innen von psychiatrischen Institutsambulanzen befragt. Die Items des WFB-MuT wurden anhand relevanter Artikel der UN-BRK generiert. Mit 136 Fragen zu 18 Themenbereichen werden sowohl Erfahrungen im psychiatrischen Setting (stationär und ambulant) als auch Erfahrungen im Privatleben außerhalb der Psychiatrie erhoben. Zur Gewinnung von Referenzwerten wurde darüber hinaus eine non-probabilistische stratifizierte Normstichprobe (N = 1.000) aus der Allgemeinbevölkerung befragt.

Ethikvotum: Ethikkommission Universität Ulm 16/2015.

Geplante Schritte: Bei Förderung durch Drittmittelgeber soll dann auch eine Befragung einer non-probabilistischen stratifizierten Stichprobe von Menschen mit körperlicher Behinderung erfolgen.

Vorläufige Ergebnisse: Die Auswertung für die Teilnehmenden aus den gemeindepsychiatrischen Verbünden und den psychiatrischen Institutsambulanzen ist abgeschlossen. Die entsprechende Doktorarbeit ist eingereicht, eine Publikation in einer Fachzeitschrift ist in Vorbereitung. Derzeit erfolgt die Zusammenführung der Daten mit den Daten der Normstichprobe. Anschließend erfolgt die erweiterte Auswertung der Daten der Gesamtstichprobe.

Susanne Jaeger, Tilman Steinert, Sabine C. Herpertz (Heidelberg), Dirk Richter / Christine Adamus / Sonja Mötteli (Bern), Lorenz Dehn / Günther Wienberg / Martin Driessen / (Bielefeld), Ingmar Steinhart / Sarah Jenderny / Julia Schreiter (Greifswald), Matthias Jäger (Zürich/Liestal)

Hintergrund: Die Daten der verschiedenen Forschungsarbeiten zur Wirksamkeit unterstützter Wohnformen (WieWohnen) für Menschen mit Teilhabeeinschränkungen in Deutschland und in der Schweiz sind auf regionaler Ebene ausgewertet. Aufgrund der übereinstimmenden Datenstruktur lassen sie sich zu einem gemeinsamen gepoolten Datensatz zusammenfassen, der aufgrund der größeren Fallzahl eine differenziertere Statistik ermöglicht.

Forschungsfragestellung: Ziel der gepoolten Datenanalyse zur Wirksamkeit aufsuchender Unterstützung ist es, die Wirksamkeit aufsuchender Unterstützungsformen über einen Zeitraum von 12 bis 18 Monate zu untersuchen und Prädiktoren für etwaige Veränderungen verschiedener Ergebnismaße zu identifizieren.

Methode: Der gemeinsame Datensatz aus Daten von Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Zürich und Bern wird in Hinblick auf Veränderungen bei Social Functioning, Teilhabechancen, Lebensqualität und den individuellen ungedeckten Bedarfen („unmet needs“) und mögliche Prädiktoren für den Verlauf untersucht.

Ethikvotum: Jede Arbeitsgruppe des Konsortiums hat ein positives Votum ihrer zuständigen Ethikkommission zur gepoolten Weiterverarbeitung der Daten eingeholt. Positive Voten für die Verwendung der Daten von BW: Ethikkommission der Universität Ulm (No. 75/17) und Universität Heidelberg (AZ S-293/2017)

Aktueller Stand: Verschiedene Publikationen in Fachzeitschriften und als Buchkapitel in einem Abschlussband zum Thema Unterstütztes Wohnen sind in Vorbereitung.

 

Susanne Jaeger, Lukas Stürner; Günther Wienberg / Ingmar Steinhart (Rostock)

Hintergrund: In Baden-Württemberg gibt es ein flächendeckendes Angebot von Tagesstätten für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Zur konkreten Umsetzungspraxis und den konzeptionellen Schwerpunkten dieses niederschwellig zugänglichen gemeindepsychiatrischen Basisangebots liegen bislang keine gebündelten Erkenntnisse vor. Das Projekt nimmt sich dieser Leerstelle an und lotet mögliche Perspektiven aus. Es geht um die Verbesserung der Informationsgrundlage, auch zur Steuerungsunterstützung im Gemeindepsychiatrischen Verbund. Das Forschungsvorhaben wurde durch den Kommunalverband für Jugend und Soziales in Baden-Württemberg (KVJS) ausgeschrieben und wird durch die KVJS-Forschung begleitet. Es wird in Kooperation mit dem Institut für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. (ISP) durchgeführt.

Forschungsfragestellung: Erforscht werden die typischen Bedarfslagen von Tagesstätten-Besuchenden, die Charakteristika und die Ausgestaltung der Angebote und die qualitativen Weiterentwicklungsmöglichkeiten von Tagesstätten.

Methode: Neben einer Analyse der internationalen und bundesweiten Literatur zu Tagesstätten (Teilprojekt 1) wird durch den Projektpartner Institut für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. (ISP) (Steinhart & Wienberg) flächendeckend eine Fragebogenuntersuchung an allen Tagesstätten in Baden-Württemberg durchgeführt (Teilprojekt 2). Ergänzt wird diese durch eine vertiefende multiperspektivisch angelegte qualitative Studie zu insgesamt acht Tagesstätten in vier Stadt- und Landkreisen (Teilprojekt 3) (Jaeger). Dabei werden verschiedene Methoden eingesetzt: Interviews mit Vertretern und Vertreterinnen von Leistungsträgern und Leistungsanbietern; Fokusgruppen mit Leistungsberechtigten; teilnehmende Beobachtung durch Peer-Forscherinnen).

Ethikvotum: Das Vorhaben wurde der Ethikkommission der Universität Ulm (No. 114/24) zur Begutachtung vorgelegt. Aufgrund des Designs (u.a. Verzicht auf Auswertung personenbezogener Daten) wurde die Notwendigkeit einer ausführlichen Begutachtung seitens der Kommission verneint.

Aktueller Stand: Die auf 30 Monate angelegte Studie läuft seit November 2023. Für weitere Informationen: www.kvjs.de/fileadmin/dateien/Forschung/APerTa/KVJS-Forschung-FB-APerTa-BW.pdf

 

Hintergrund: Depressionen und Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen. Die Versorgung dieser Erkrankungen erfolgt in verschieden Bereichen und Settings: stationär (psychiatrische Kliniken und psychosomatische Krankenhäuser, Rehabilitationskliniken), teilstationär (psychotherapeutische und Rehabilitationstageskliniken) und ambulant (Fachärzte, ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, PIA). Bisher kaum beforscht sind die differentielle Indikationsstellung, die Behandlungswege, der weitere Erkrankungsverlauf, Teilhabemöglichkeiten und die Inanspruchnahme von Ressourcen der Patientinnen und Patienten aus den unterschiedlichen Settings im direkten Vergleich.

Methode: Durchgeführt wurde eine multizentrische Längsschnittuntersuchung einer Stichprobe von insgesamt 320 Patienten mit F3 und F4 Diagnosen nach ICD-10. Es wurden Patienten in vier verschiedenen Versorgungsbereichen untersucht: psychiatrische Depressionsstation, psychiatrische Krisenstation, psychosomatische Akutklinik und psychiatrische Tagesklinik. Neben einer ausführlichen Symptomerhebung und Diagnosestellung per semistrukturierten Interviews, Selbst- und Fremdauskunftsbögen und Checklisten wurden Krankheitsanamnese, Sozialanamnese, Zuweisungsmodus, Behandlungsmotivation und weiterführende Behandlungswege erhoben. Die Daten bei Aufnahme und Entlassung (T0, T1) wurden in direkten Interviews und Fragenbögen erhoben, die Daten für die weiteren Messzeitpunkte (6 bzw. 12 Monate nach Entlassung, T2, T3) per Telefoninterview und Fragenbögen.

Projektstand: Erste Ergebnisse sowie weitere Ergebnisse der drei Teilprojekte wurden bereits in Fachzeitschriften publiziert. Ergebnisse weiterer Datenauswertungen in den verschiedenen Teilprojekten wurden auf mehreren Kongressen präsentiert und ihre Veröffentlichung in Fachzeitschriften wird derzeit vorbereitet.

Teilprojekt 1: Indikationsstellung und Behandlungswege

Dana Bichescu-Burian, Erich Flammer, Carmen Uhlmann, Susanne Jaeger, Tilman Steinert

Forschungsfragestellung: Dieses Teilprojekt widmet sich der Analyse von Behandlungswegen vor und nach stationärer Behandlung sowie deren Prädiktoren bei Patienten mit Depressionen und Angststörungen. Behandlungsempfehlungen nach der Indexbehandlung sowie ihre Verwirklichung nach Entlassung sollen auch untersucht werden. Eine eingehende Literaturrecherche sowie eingehende Analysen von Behandlungswegen wurden bereits durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in einer deutschsprachigen Fachzeitschrift publiziert. Eine weitere Publikation zur Realisierung der Indikationsstellung ist geplant.

Ergebnis: Die Analyse von Behandlungswegen nach Entlassung aus der Indexbehandlung zeigte, dass stationäre Behandlungen mehrheitlich geplante Weiterbehandlungen waren. Fast alle Patienten wurden ambulant nachbehandelt. Hauptprädiktoren für stationäre Behandlung nach Indexbehandlung und für ambulante Psychotherapie waren das Index-Setting (Psychiatrie/Psychosomatik) sowie vorbestehende und geplante Behandlungen.

Teilprojekt 3: Zusammenhang zwischen eingesetzten Ressourcen und Arbeitsfähigkeit nach Entlassung

Sophie Hirsch, Erich Flammer, Frank Eisele, Tilman Steinert

Forschungsfragestellung: Es soll untersucht werden, ob der Ressourcenverbrauch bzw. die Inanspruchnahme von Ressourcen von der Aufnahme in eine Klinik oder Tagesklinik bis 6 Monate nach Entlassung, eine Änderung der Arbeitsfähigkeit in den Monaten 6 - 12 nach Entlassung gegenüber der Arbeitsfähigkeit vor Aufnahme bedingt.

Erste Ergebnisse: Je höher der kumulierte Ressourcenverbrauch war, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass die Person zu T3 erwerbstätig war, wobei für Geschlecht, Alter, Schwere der Erkrankung und Beschäftigungsstatus zu T0 kontrolliert wurde. Dieser Effekt war jedoch recht gering. Ein höherer kumulativer Ressourcenverbrauch stand nicht im Zusammenhang mit der Selbsteinschätzung einer Person, erwerbsfähig zu sein. Der stärkste Prädiktor für eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu T3 war die Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu T0. Der Verbleib und der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt waren für jüngere Menschen einfacher. Die Ergebnisse wurden auf einem internationalen gesundheitsökonomischen Kongress vorgestellt. Eine wissenschaftliche Publikation ist in Vorbereitung.