Arbeitsgruppe Forensische Psychiatrie

Leitung : Dr. biol. hum. Hans-Joachim Traub Dipl-Psych., M.A. Lukas Stürner

  • Profilbild von Dr. biol. hum. Hans-Joachim Traub

    Dr. biol. hum. Hans-Joachim Traub

    Schwerpunkte

    Epidemiologische Daten des Maßregelvollzuges

    Vergleichende Datenerhebung Weißenau und Wiesloch

  • Profilbild von  Lukas Stürner, M.A., Soziologe

    Lukas Stürner, M.A., Soziologe

    Schwerpunkte

    Forensische Psychiatrie, Quantitative Methoden

Schwerpunkte

Die Forensische Psychiatrie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie, das sich mit den juristischen Fragen beschäftigt, die sich im Zusammenhang mit kranken Menschen stellen. Das wissenschaftliche Interesse der Arbeitsgruppe richtet sich vor allem auf die Praxis des Maßregelvollzugs. Einrichtungen des Maßregelvollzugs sind Fachkliniken mit hohen Sicherheitsvorkehrungen, in denen psychisch Kranke oder gestörte sowie suchtmittelabhängige Menschen behandelt werden.

Bereits seit 1988 wurden in der hiesigen Forensischen Klinik unter dem damaligen Chefarzt Dr. Jockusch die grundlegenden Daten jährlich erfasst und ausgewertet. Nach diesem Muster erfolgte ab dem Jahr 1997 eine Datenerfassung und Statistik für alle Forensischen Kliniken des Landes Baden-Württemberg durch das Sozialministerium. Im Jahre 2009 wurde eine einzelfallbezogenen Dokumentation im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes (Prozessoptimierung im Maßregelvollzug) des Sozialministeriums implementiert und seitdem regelmäßig erhoben, an dem sich die hiesige Arbeitsgruppe beteiligt.

Auf dieser Datengrundlage wird die Darstellung von längerfristigen Entwicklungen im MRV möglich. Durch die Einbeziehung von Angaben der bundesweiten Strafverfolgungsstatistiken sowie der detaillierten Off-Site-Files der Strafverfolgungsstatistik des Forschungsdatenzentrums der Länder von 1995 – 2021 können Bezüge und Vergleiche auf verschiedenen regionalen Ebenen formuliert werden.

Laufende Projekte

Lukas Stürner, Thomas Ross, Hans-Joachim Traub

Hintergrund: Die Beziehung zwischen Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis und kriminellem Verhalten ist ein zentrales Thema in der forensischen Psychiatrie. Menschen mit psychischen Störungen sind mit einigen der gleichen Arten von kriminogenen Faktoren konfrontiert wie Menschen ohne psychische Störungen, wenn auch häufiger. Die Forschungsfrage dieser Studie ist, inwieweit ein Rahmen für eine „Early- and Late Starter“-Typologie in einer forensisch-psychiatrischen Population empirisch rekonstruiert werden kann und ob sich daraus Implikationen für die Praxis ableiten.
Methode: Für N = 733 Patienten aus sechs verschiedenen forensischen Kliniken in Deutschland wurden das Alter bei der ersten psychiatrischen Aufnahme und das Alter bei der ersten registrierten Straftat sowie eine Reihe weiterer patientenbezogener Merkmale dokumentiert. Mittels zweier Clusterverfahren wurden untersucht, ob sich forensisch-psychiatrische Patienten anhand dieser Merkmale klassifizieren lassen.
Ergebnisse: Eine K-Means-Clusteranalyse unter Verwendung des Alters bei der ersten psychiatrischen Einweisung, des Alters bei der ersten registrierten Straftat sowie soziodemographischer, klinischer und kriminologischer Merkmale ergab sich eine 4-Cluster-Lösung. MANOVA-Analysen zeigten weitere Unterschiede zwischen den identifizierten Typen.
Schlussfolgerung: Diese Studie bestätigt empirisch einige der in der Literatur gefundenen „Early- and Late Starter“-Typologie, insbesondere die drei bestätigten Cluster "Frühstarter", "Spätstarter" und "Erstauffällige". Cluster vier umfasst Personen, die bisher in der wissenschaftlichen Literatur nicht beschrieben wurden. Jede dieser Klassen weist gruppenspezifische Merkmale auf, die Auswirkungen auf die forensische Behandlung, die juristische Einordnung und die Nachsorge bei Entlassung haben.

Lukas Stürner, Thomas Ross, Jan Querengässer, Hans-Joachim Traub

Einleitung: Wissenschaftliche Studien haben sich auf patientenbezogene Merkmale als Prädiktoren für die Dauer des Aufenthalts in der forensischen Psychiatrie konzentriert. Den Besonderheiten der forensischen Settings wurde jedoch wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Ziel der Studie: In dieser Studie soll untersucht werden, ob die Unterschiede bei forensischen Einweisungen über individuelle Faktoren hinausgehen, indem die Verweildauer zwischen verschiedenen psychiatrischen Abteilungen unter Kontrolle von Krankenhaus- und Patientenmerkmalen verglichen wird.
Methoden: Der Datensatz stammt aus einem forensischen Dokumentationssystem, das eine breite Palette von Informationen über forensische Psychiatriepatienten enthält. N = 594 Patienten mit Schizophrenie-Spektrum-Störungen, die aus 6 forensischen Kliniken in Süddeutschland entlassen wurden, wurden in ein lineares gemischtes Regressionsmodell aufgenommen. Es wurden lineare gemischte Modelle berechnet, die eine gleichzeitige Schätzung der Varianz zwischen Patienten und Krankenhäusern ermöglichten.
Ergebnisse: Das endgültige Regressionsmodell erklärte 49 % der Gesamtvarianz. Die einzigen statistisch signifikanten patientenbezogenen Prädiktoren waren das Alter bei der Aufnahme, die Bildung und der Schweregrad des Indexdelikts. Krankenhausunterschiede erklärten 41 % (ICC) der Varianz der Aufenthaltsdauer, ohne dass ein signifikanter Krankenhauseffekt in den Daten gefunden wurde. Diskussion: In der bisherigen Forschung wurden die Prädiktoren für die Verweildauer in erster Linie im Hinblick auf individuelle Patientenmerkmale analysiert. Diese Arbeit deutet darauf hin, dass bei der Bewertung der Aufenthaltsdauer in forensischen Abteilungen auch andere Variablen als patientenbezogene Faktoren berücksichtigt werden müssen. Weitere multizentrische Studien sind erforderlich, um ein besseres Verständnis dafür zu erlangen, wie forensisch-psychiatrische Krankenhäuser und andere institutionelle Einflüsse die Verweildauer beeinflussen.

Joachim Traub, Jan Querengässer

Auswertung der bundesweiten einzelfallbezogenen Strafvollstreckungsstatistik. Wurde mit einem Postervortrag beim DGPPN-Kongress 2023 abgeschlossen.

Joachim Traub, Jan Querengässer

Auswertung der bundesweiten einzelfallbezogenen Strafvollstreckungsstatistik. Wurde mit der Publikation in einer Fachzeitschrift abgeschlossen.

Joachim Traub, Jan Querengässer


Hintergrund: Die Anzahl der juristischen Verurteilungen, bei denen eine verminderte Schuldfähigkeit angenommen wird, ist im Maßregelvollzug gemäß §63 StGB konstant rückläufig. Diese Entwicklung betrifft ähnlich die Delinquenten des Maßregelvollzugs gemäß den §§ 64 und 66 StGB ebenso wie Straftäter mit erheblichen Delikte, die mit mehr als 2 Jahren Haft sanktioniert wurden (jährlich Ø n=9.700; 1995-2018, alte Bundesländer).
Parallel steigen dabei im Maßregelvollzug gemäß §63 StGB die Aburteilungen auf der Grundlage einer kompletten Schuldunfähigkeit an.
Fragestellung: Ergeben sich aus den zeitlichen Verläufen und der Veränderung der soziodemografischen Grunddaten und Deliktkategorien Hinweise auf eine Veränderung der psychiatrischen Begutachtung oder der Rechtsprechung?
Methoden: Datengrundlage sind Angaben (insgesamt N = 316.026 Fälle) des Forschungsdatenzentrums des Bundes und der Statistischen Landesämter (1995-2018) aus den Standardisierten Off-Site-Files der Strafverfolgungsstatistik (EVAS 24311). Es werden die Angaben über den Zeitraum 1995-2018 für die alten Bundesländer und ab 2007-2018 auch für die Neuen Bundesländer für die oben beschriebenen Gruppierungen ausgewertet und die Veränderungen im beschriebenen Zeitraum über lineare bzw. polynome Trendanalysen aufgezeigt.
Ergebnisse: Im Maßregelvollzug gemäß §63 StGB sinkt der Anteil der schuldgeminderten Delinquenten annähernd linear auf zuletzt 19%. Im §64 StGB stagniert deren Anzahl, sinkt relativ aber kontinuierlich (von 43% auf 27%) durch die sonst massiv auf der Grundlage von schuldfähigen Delinquenten ansteigenden Aufnahmezahlen. Im Strafvollzug von Delinquenten mit Haftstrafen über 2 Jahren bleibt der Anteil seit 2007 bei etwa 6%, nachdem er im Zeitraum zuvor teilweise bei über 10% gelegen hatte.
In den Deliktkategorien zeigt sich allgemein ein Rückgang der Verurteilungen mit verminderter Schuldfähigkeit, allerdings besonders bei den Delinquenten mit Sexualstraftaten, die offenbar zunehmend als schuldfähig eingeschätzt werden.

 

Joachim Traub, Thomas Ross

Hintergrund: In der forensischen Psychiatrie gemäß § 63 StGB von Baden-Württemberg steigt seit Jahren der Anteil der Patienten mit ausländischer Staatsangehörigkeit an, ähnlich und allgemeiner auch bei Migrationshintergrund. Seit der Flüchtlingswelle ab 2016 ist ein beschleunigter Anstieg zu beobachten. Für den MRV in Deutschland liegen nur einzelne länderspezifische Angaben zum Migrationshintergrund der Patienten vor. Über den Ausländerstatus, der in der Strafvollstreckungsstatistik erfasst wird, liegen allerdings vollständige Angaben für Deutschland ab 2007 vor. Für Menschen mit fremdkulturellem Hintergrund, gesteigert bei ausländischer Nationalität, ist das epidemiologische Risiko erhöht, an einer Psychose zu erkranken. Für Baden-Württemberg wird im Zeitverlauf der Neuanordnungen gemäß § 63 StGB von 2015 – 2021 ein Zusammenhang zu steigenden Anteilen an Einwohnern mit Migrations­hintergrund sichtbar.
Fragestellung: Wieviel Einfluss hat der Zuwachs an Ausländern auf die Belegung im MRV nach § 63 StGB? Kann vom Ausländeranteil der Bundesländer auf die Steigerung der Neuanordnungen und weiter auf den Anstieg der Belegung geschlossen werden?
Methode: Für Deutschland kann die Entwicklung der Neuanordnungen gemäß § 63 StGB von 2007-2021 vollständig und differenziert nach Bundesländern dargestellt werden. Der Ausländerstatus wird erfasst, ebenso einzelne soziodemographische Merkmale und die Deliktkategorien. Die Veränderungen im Zeitverlauf werden beschrieben. Datengrundlage sind die Angaben der Strafvollstreckungsstatistik bzw. des Forschungsdatenzentrum des Bundes und der Länder. Ergänzend wird die Entwicklung im Strafvollzug verglichen, um den Einfluss von kriminellem Verhalten im Vergleich zu psychiatrischen Erkrankungen auf die Delinquenz abzuschätzen.
Limitationen: Aufgrund der begrenzten Aussagekraft der Strafverfolgungsstatistik, die etwa keine Angaben zum diagnostischen Hintergrund, zur Dauer der Störung und nur wenige demographische Angaben enthält, würden die getroffenen Aussagen zur Entwicklung des Anteils der Patienten anderer Nationalität unter gewissen Vorbehalten stehen. Problematisch ist auch die fehlende Differenzierung des Merkmals „Ausländer“. Es können weder Aufenthaltsstatus, eigene Flucht- oder Migrationserfahrung noch kultureller oder sprachlicher Hintergrund differenziert werden. Für die individuellen Lebensgeschichten wären Längsschnittuntersuchungen erforderlich.
Ergebnisse: Etwa die Hälfte des bundesweiten Anstieges (+37%) an Neuanordnungen gemäß § 63 StGB in den Jahren 2015-2021 ist durch Patienten mit ausländischer Nationalität bedingt. Länderspezifisch wird nur ein mäßiger Zusammenhang zwischen dem Anstieg der ausländischen Bevölkerung und den Neuanordnungen nach § 63 StGB deutlich. Die Ergebnisse wurden in einer Fachzeitschrift und in Vorträgen auf Fachkongressen publiziert, gemeinsam mit den Ergebnissen aus dem Forschungsprojekt zu den allgemeinen Neuanordnungen nach § 63 StGB und in der dort beschriebenen übergreifenden Tendenz zu einer Forensifizierung eingeordnet.

Joachim Traub

Für ein Symposium bei DGPPN-Kongress 2024 wurde die Datenlage bzgl. gemeinsamer Patienten aus der Forensischen Basisdokumentation Baden-Württemberg ausgewertet.
Eine Poster-Präsentation der Datenlage wurde erstellt, auf dieser Grundlage wird gegebenenfalls noch ein weiterführendes Projekt formuliert werden.

Lukas Stürner


Hintergrund: Mit Hilfe dieses Forschungsunterfangen soll ein gründlicher Überblick und Einsicht in die Patientenstruktur des Maßregelvollzugs in Baden-Württemberg dargeboten werden. Angestrebt ist, dieses Vorhaben mit Hilfe einer Clusteranalyse zu realisieren. Möglicherweise lassen sich aus den Ergebnissen ebenfalls Bedarfe diverser Patientengruppen ableiten.
Fragestellung: Inwieweit lassen sich im Maßregelvollzug mittels Klassifizierung homogene Patientengruppen abbilden?
Methode: Eine Clusteranalyse ist eine statistische Methode zur Klassifizierung innerhalb eines Datensatzes, um beobachtete Fälle – konkret: Patient*innen – in homogene Gruppen einzuordnen. Die Clusteranalyse ermöglicht es, verborgene Strukturen in den gewonnenen Daten offenzulegen und die Datenkomplexität zu verringern. Außerdem schafft sie eine komfortable Ausgangslage um weitere Analyseverfahren anknüpfen zu lassen. Als Datengrundlage dient die Forensische Basisdokumentation Baden-Württemberg (FoDoBa). Zur Klassifizierung werden soziodemographische, kriminologische, juristische und psychiatrische Merkmale der Patient*innen herangezogen.
Ergebnisse: Die Klassifizierung der § 63 StGB Untergebrachten in Weissenau antizipiert eine Unterteilung in fünf Patientengruppen. Die Patient*innen derselben Gruppe ähneln sich in soziodemographischen, psychiatrischen und kriminologischen Merkmalen und unterscheiden sich merklich von Patient*innen anderer Gruppen. Außerdem können Zusammenhänge zwischen den Patientengruppen und dem Alter bei Erstdelinquenz, der diagnostischen Prognose sowie der Häufigkeit von Vorfällen während der Unterbringung nachgewiesen werden.
Ausblick: Weitere Analysen sollen an die neu gebildeten Patientengruppen anknüpfen. Außerdem empfiehlt es sich, eine Klassifizierung der Population von bereits entlassenen Patient*innen vorzunehmen.

 

Joachim Traub, Thomas Ross

Hintergrund: Von den Justizverwaltungen wird in Form der jährlichen Strafverfolgungs­statistiken der Statistischen Landesämter eine ausführliche Dokumentation aller Ab- bzw. Verurteilungen erstellt. Auch die Zuweisung in den Maßregelvollzug, der Grad der Schuldunfähigkeit, Anlassdelikte, Vorstrafen, Straflänge, Alter der Abgeurteilten u.a. werden erfasst. Eine Auswertung mit dem Ergebnis zweier Fachartikel erfolgte bereits für die alten Bundesländer im Zeitraum von 1995-2009. Inzwischen liegen die kompletten Angaben für Deutschland für die Jahre 2007-2018 vor, ergänzend wurden für 2023 die Angaben für die Jahre 2019-2021 ausgewertet.
Fragestellung: Durch eine Aufarbeitung dieser Informationen über die zugewiesenen Patienten des Maßregelvollzuges soll die weitere Entwicklung des § 63 StGB in Deutschland im Folgezeitraum erkennbar werden.
Methode: Die Daten wurden über das Forschungsdatenzentrum der Länder geliefert und vorausgewertet. Die Entwicklung der einzelnen Merkmale im Zeitverlauf wurde bisher über polynome oder lineare Annäherungsgleichungen dargestellt. Die Umsetzung der bisher jahresbezogenen Datensätze zu einem gemeinsamen Datenpool mit der Möglichkeit einer Zeitreihenanalyse bzw. logistischen Regression erschien grundsätzlich sinnvoll, methodisch nach tiefergehenden Überlegungen jedoch fraglich, so dass eine Rückkehr zu einfacheren Aus­wertungsprinzipien erfolgte.
Ergebnisse: Die neuen Ergebnisse bestätigen weiterhin die Zunahme des Anteiles der schuldunfähigen Patienten im Bereich der §-63-StGB-Patienten bei mittlerer Gewalttätigkeit. Aufgrund der Daten wird eine erneute Phase der „Forensifizierung“ angenommen. Parallel wird eine Zunahme von Patienten anderer Nationalitäten deutlich. insgesamt ist die Belegung bzw. Prävalenz inzwischen wieder leicht angestiegen, dieser Trend zeigt sich in fast allen Bundesländern. Diese Tendenz ist offenbar Folge einer spätestens seit dem Jahre 2018 ansteigenden Inzidenz bzw. Anzahl an Neuanordnungen gemäß § 63 StGB durch die Justiz. Die Verweildauer hatte 2014 ein Maximum mit etwa 9,5 Jahren erreicht, inzwischen hat sie sich wieder deutlich um etwa 2 Jahre verkürzt. Die einzelnen Bundesländer unterscheiden sich deutlicher in der Verweildauer als in den Belegungszahlen. Aufgrund der Veränderungen der Patientenmerkmale wird erwartet, dass sich das Behandlungsmilieu in den deutschen Maßregelvollzugseinrichtungen mittelfristig erheblich ändern wird. Die Ergebnisse für Deutschland insgesamt wurden in einer Fachzeitschrift publiziert.
Eine Differenzierung der einzelnen Bundesländer soll im nächsten Schritt folgen. Ebenso soll ergänzend ein Vergleich mit der Entwicklung der in den Strafvollzug eingewiesenen Delinquenten mit erheblichen Straftaten folgen, um kriminologische und gesundheitspolitische Entwicklungen möglicherweise unterscheiden zu können.
Weitere Entwicklung: Nachdem etwa die Hälfte des bundesweiten forensischen Bettenanstiegs nach § 63 StGB (als „Neue Forensifizierung“ in einer Publikation 2023 veröffentlicht) auf Patienten anderer Nationalität zurückzuführen ist, wurden dieses Projekt mit dem folgenden Projekt zusammengelegt.

Joachim Traub, Erich Flammer


Hintergrund: Auf den sechs Stationen einer forensisch-psychiatrischen Klinik wurde in den vergangenen 5 Jahren seit 2016 beobachtet, dass die kumulative Dauer der Zwangsmaßnahmen pro betroffenem Fall (weit überwiegend Isolierungen) stark anstieg. Parallel ergab sich eine Phase der massiven Überbelegung durch vermehrte juristische Einweisungen. Inzwischen hat sich die Belegungssituation wieder entspannt, nachdem eine neue Station und zwei weitere interne Wohnheimbereiche geschaffen werden konnte. Die Dauer der Zwangsmaßnahmen blieb aber auf einem hohen Niveau.
Forschungsfragestellung: Ist der erhöhte Einsatz von Zwangsmaßnahmen eine Folge der Überbelegung oder haben veränderte Patientenmerkmale einen entscheidenden Einfluss?
Methode: Die ausführlichen Angaben zu Patientenmerkmalen der Forensischen Basisdokumentation Baden-Württemberg (FoDoBa) von 2016 - 2020 werden mit den Informationen zu Zwangsmaßnahmen aus dem elektronischen Krankenhausinformationssystem (KIS) zusammengeführt, ergänzt durch die monatliche Belegungsstatistik der Forensischen Psychiatrie. Zur Prüfung einer möglichen Wirkung der Überbelegung werden Daten zur Belegung und patientenbezogene Daten Jahres 2016 mit denen des Jahres 2020 verglichen.
Ethikvotum: Gemäß der Ethikkommission der Universität Ulm ist ein Ethikvotum für Studien, in denen anonymisierte Daten analysiert werden, nicht erforderlich.
Ergebnisse: Das Ausmaß der zeitlichen Veränderung von Patientenmerkmalen wurde mit Anzahl und Dauer der Zwangsmaßnahmen korreliert. Es ergab sich ein allgemein erhöhtes relatives Risiko für Zwangsmaßnahmen bei Patienten mit Intelligenzminderung und bei Patienten mit zurückliegender Flucht-/Migrationserfahrung, wobei der Anteil der „Neuen Migranten“ zugenommen hatte. Das relative Risiko dieser Patientengruppen blieb konstant, unabhängig vom Anstieg der Zwangsmaßnahmen. In der Schlussfolgerung wird davon ausgegangen, dass der Anstieg der Zwangsmaßnahmen nicht auf Veränderungen in der Patientenpopulation zurückzuführen ist, sondern als Folge der Überbelegung zum werten ist.

 

Joachim Traub, Lukas Stürner: Mitarbeit bei dem vom Sozialministeriums Baden-Württemberg initiierten Projekt (Leitung: Prof. Dr. Jan Bulla, PD Dr. Thomas Ross; Reichenau)

Hintergrund: Zwischen den Landgerichtsbezirken in Baden-Württemberg gibt es zum Teil er­hebliche Unterschiede in den Einweisungsraten in die forensische Psychiatrie wie unterschiedliche Prävalenzwerte (Bettenmesskennziffer) und Behandlungsdauern der einzelnen Forensischen Kliniken.
Forschungsfragestellung: Die jährlichen Erhebungen wurden fortgeführt. Der hohe Anstieg der Neuanordnungen in Baden-Württemberg im MRV (s.u.) wurde über die Fodoba-Angaben validiert, ebenso die entsprechenden Ausprägungen der Patientenmerkmale. Der Anstieg der Patienten mit Migrationshintergrund seit einigen Jahren wurde als Anlass für gesonderte Forschungsprojekte (s.u.) übernommen.
Methode: Die Forensische Basisdokumentation Baden-Württemberg (Fodoba) enthält 35 Kernbereiche oder Items, die in weitere Kategorien mit Wertelisten aufgefächert werden. Insgesamt sind rund 140 Eintragungen zu machen. Die Angaben sind anonymisiert, aber jeweils einzelfallbezogen. Die Entwicklung der einzelnen Merkmale über den Zeitverlauf von inzwischen 14 Jahren wird über eine lineare Trendanalyse dargestellt.
Ergebnisse: Die Fodoba ist Grundlage für einen umfassenden und fallbezogenen Überblick zum MRV in Baden-Württemberg. Entwicklungen und Tendenzen können sehr detailliert erfasst werden und bilden den Ausgangspunkt für Entscheidungen des zuständigen Sozialministeriums sowie für entsprechende Forschungsprojekte und den möglichen Übertrag von Erkenntnissen auf den MRV in Deutschland. Künftig soll mit einem Teil der Daten das Schema des „Kerndatensatzes“ befüllt werden, der – allerdings lediglich einrichtungsbezogen - die Daten für die anderen Bundesländer sammelt und darstellt.

Mitarbeitende

  • Profilbild von  Rosa Engler

    Rosa Engler

    Fachkrankenschwester Forensisch-Psychiatrische Ambulanz

    Schwerpunkte

    Mitarbeiterin Forensische Psychiatrie