Arbeitsgruppe Autonomie, Zwang und aggressives Verhalten
Leitung: Prof. Dr. Tilman Steinert und Dr. med. Sophie Hirsch, B.Sc.
Prof. Dr. med. Tilman Steinert
Ehemaliger Ärztlicher Direktor
Schwerpunkte
Zwangsbehandlung und Gewalt
Erstellung der DGPPN-Leitlinie aggressives Verhalten
Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Halluzinationen
Forschungsorganisation
Drittmittel
Doktoranden
Dr. med. Sophie Hirsch, B.Sc.
Schwerpunkte
Update und Upgrade der DGPPN-S3-Leitlinie
„Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“
Randomisiert-kontrollierten Studie zur Implementierung der S3-Leitlinie Verhinderung von Zwang (PreVCo-Studie)
Zwangsmaßnahmen und der Versuch, auf sie zu verzichten, sind das älteste Thema psychiatrischer Institutionen. Mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 2011 und den seitdem erfolgten Änderungen des Betreuungsrechts und der Psychisch Kranken-Gesetze der Bundesländer wurde die Patientenautonomie erheblich gestärkt und die Legitimität von Zwangsmaßnahmen wird zunehmend hinterfragt. 2017 wurde die Pflicht des Arztes, die Patientenautonomie zu respektieren, an zentraler Stelle in das Genfer Gelöbnis (Declaration of Geneva) eingefügt. Ein weiterer Diskussionsstrang entstand aus der UN-Behindertenrechtskonvention und ihren Kommentierungen, die Zwangsmaßnahmen ebenfalls sehr grundsätzlich problematisieren. Auf der anderen Seite wird von psychisch kranken Menschen ausgehendes aggressives Verhalten immer wieder als erhebliches gesellschaftliches Problem betrachtet. Innerhalb psychiatrischer Einrichtungen stellt es den gravierendsten Risikofaktor für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten dar. Seit vielen Jahren betreiben wir empirische Forschung in diesem Themenkomplex in landesweiten, bundesweiten und europäischen Kooperationen und sind mit der Entwicklung von Leitlinien beschäftigt.
Schwerpunkte
- Auswertung von Register- und Routinedaten zu Zwang und aggressivem Verhalten in der Psychiatrie
- Evidenzbasierte Medizin, Leitlinienentwicklung und Implementierungsforschung
- Ethische Fragestellungen im Spannungsfeld von Autonomie und Zwang
- Wahrgenommener und informeller Zwang
Laufende Projekte
Sophie Hirsch, Thomas Klein, Natalia Wojtkowski, Tilman Steinert
Hintergrund: Aggressives Verhalten und Zwangsmaßnahmen gehören zu den drängendsten Problemen in der psychiatrischen Versorgung. Derartige Risikosituationen erfordern rasches und sicheres Eingreifen. Um den bestmöglichen Umgang mit aggressivem Verhalten zu gewährleisten, der sowohl Sicherheit herstellt als auch die Freiheitsrechte der Betroffenen berücksichtigt, müssen alle Deeskalationsmaßnahmen zur Verhinderung und Beendigung von Gewalt und Zwang auf ihre Wirksamkeit und Angemessenheit überprüft werden. Aus diesem Grund wurden Leitlinien entwickelt, in die der wissenschaftliche Kenntnisstand und Expertenwissen eingegangen sind.
Methodik: In der Leitlinienaktualisierung von 2024-25 werden mehrere systematische Reviews zu Deeskalationstrainings, Prävention von Zwang und medikamentöser Behandlung durchgeführt. Die aktualisierten Leitlinien werden um zusätzliche Themen erweitert. Die in die Auswertung eingeschlossen Studien werden anhand des GRADE-Frameworks hinsichtlich ihrer Evidenzstärke bewertet und ihre Befunde in Konsensgruppen diskutiert.
Frank Eisele, Erich Flammer, Tilman Steinert
Hintergrund: In einer Metaanalyse internationaler Studien wurde festgestellt, dass 17 % der in psychiatrische Kliniken eingewiesenen Patienten gewalttätiges Verhalten gegenüber anderen gezeigt haben. Die Daten aus Studien in Deutschland waren bis vor einigen Jahren deutlich niedriger. Studien, die nur einzelne Krankenhäuser untersuchten, sowie die Qualität der Daten selbst haben jedoch Zweifel an der Gültigkeit dieser Ergebnisse aufkommen lassen.
Forschungsfragestellung: Ist es tatsächlich zu einer Zunahme von Gewalttaten in deutschen psychiatrischen Einrichtungen gekommen?
Methode: In einer Gruppe von 10 Krankenhäusern, die etwa die Hälfte der Bevölkerung des Bundeslandes Baden-Württemberg mit 11 Millionen Einwohnern versorgen, wurde die Staff Observation Aggression Scale-Revised (SOAS-R) als Teil der Routinedokumentation in die elektronischen Patientenakten aufgenommen. Für das Jahr 2019 liegt ein vollständiger Datensatz vor. Für ein Krankenhaus liegen die Daten seit 2006 vor. Aufgrund von Zweifeln an der vollständigen Erfassung der selbstgesteuerten Aggression wurde die Analyse auf Aggressionen gegen andere und gegen Gegenstände beschränkt.
Ergebnisse: Die Inzidenz aggressiver Übergriffe ist etwa halb so hoch wie die international gemeldete, was wahrscheinlich auf eine verzerrte Stichprobenauswahl in früheren Studien und eine relativ hohe Anzahl von Krankenhausbetten in Deutschland zurückzuführen ist. Die verfügbaren Daten deuten auf einen Anstieg der Gewaltvorfälle in den letzten zehn Jahren hin; es ist jedoch unklar, inwieweit dies auf eine verstärkte Berichterstattung zurückzuführen ist. Die Ergebnisse wurden in einer Fachzeitschrift publiziert.
Maximilian Riepenhausen, Sophie Hirsch, Tilman Steinert
Hintergrund: Die Inzidenz von Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Kliniken unterscheidet sich sowohl innerhalb eines Landes als auch zwischen den Ländern erheblich, ohne dass dies ausreichend durch klinische und strukturelle Unterschiede erklärbar wäre. Dies zeigte sich auch in einer internationalen Literaturübersicht 2010.
Forschungsfragestellung: Wie verhält sich die Inzidenz von Fixierungs- und Isolierungsmaßnahmen in psychiatrischen Krankenhäusern im internationalen Vergleich und verändert sich die Heterogenität über die Zeit?
Methode: Es erfolgte eine systematische Suche in zwei Datenbanken: Medline und CINAHL. Zusätzlich wurde nach grauer Literatur gesucht.
Ethikvotum: Ein Ethikvotum ist nicht erforderlich, da nicht an Patienten geforscht wird und nur anonymisierte und aggregierte Daten verwendet werden.
Geplante Schritte: Fertigstellung der Dissertation und anschließende Vorlage zur Korrektur.
Vorläufige Ergebnisse: Aufgrund der heterogenen Datenlage sind keine eindeutigen Trends erkennbar, jedoch ist in einigen der betrachteten Ländern ein Rückgang der Inzidenz von Zwangsmaßnahmen zu erkennen.
Mitarbeitende
Thomas Klein
Natalia Wojtkowski
Schwerpunkte
Update und Upgrade der DGPPN-S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“
Randomisiert-kontrollierten Studie zur Implementierung der S3-Leitlinie Verhinderung von Zwang
Public Outreach
Sophie Hirsch, Tilman Steinert
Mit der S3-Leitlinie, die im Auftrag der DGPPN erstellt wurde, stehen erstmals evidenz- und konsensbasierte Empfehlungen für den Umgang mit aggressivem Verhalten und Zwangsmaßnahmen in der psychiatrischen Versorgung zur Verfügung (Leitlinienregister der AWMF).
Sophie Hirsch, Erich Flammer
Im Melderegister werden alle Unterbringungs- und Zwangsmaßnahmen innerhalb psychiatrischer Kliniken, die Unterbringungen nach PsychKHG durchführen, erfasst. Gemeldet werden müssen Fixierung, Festhalten, Isolierung und der Zimmereinschluss. Die Kliniken erfassen die Zwangsmaßnahmen nach einem Manual, das Definitionen der Zwangsmaßnahmen und Fallbeispiele enthält. Die Erfassung basiert auf Vorarbeiten des Arbeitskreises zur Prävention von Gewalt und Zwang in der Psychiatrie (Arbeitskreis Gewaltprävention). Es erfolgt eine jährliche Auswertung der Daten für das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration und die meldepflichtigen Kliniken. Darüber hinaus erfolgt eine Auswertung im Zuge der Berichterstattung an den Landtag Baden-Württemberg mindestens einmal pro Legislaturperiode (Bericht an den Landtag). Die erhobenen Daten werden wissenschaftlich ausgewertet und die Ergebnisse in Fachzeitschriften veröffentlicht.
Sophie Hirsch
Der Arbeitskreis (Süd) hat zum Ziel, Gewalt und Zwang im Alltag psychiatrischer Kliniken empirisch zu erfassen und zu analysieren sowie zum Austausch von Kliniker*innen und Forschenden beizutragen (Arbeitskreis Gewaltprävention). Dazu finden zusätzlich zur Melderegistertagung jährlich gegenseitige Klinikbesuche sowie alle zwei Jahre die Tagung "Forschung trifft Praxis" gemeinsam mit dem Arbeitskreis Nord statt. Zentrale Anliegen sind es, die Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen zu reduzieren und ethische Standards zum Umgang mit Zwang und Gewalt zu entwickeln. Die Gründung des Arbeitskreises erfolgte 1997 auf Initiative von Professor Tilman Steinert.