Lehre Philosophie der Medizin an der Uni Ulm

Wahlfach an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm

Philosophische Kompetenz im ärztlichen Handeln für angehende Ärztinnen und Ärzte
(Lehrbeauftragter: Prof. Dr. J. Valdes-Stauber)

Großes Wahlfach (28 Stunden) entsprechend 2 SWS

Hintergrund: Wenn von „Philosophie der Medizin“ die Rede sein soll, dann verhält sich Philosophie in Bezug auf die Wissenschaften (darunter die Medizin) distributiv, denn die kritische Denkweise und das konzeptuelle Instrumentarium der Philosophie als Wissen zweiter Ordnung wird hier auf die Medizin angewandt, genauso wie auf die Religion, auf die Soziologie, auf die Technologie der Ernte oder auf die Informatik als technische bzw. positive Wissensbereiche.
Philosophie ist aber nicht nur eine rational-kritische Denkweise, sondern auch ein substanzielles Wissen, rekonstruierbar über die historisch gewachsenen Ideen, sowie über die Rekonstruktion und Interdependenz von philosophischen Systemen.
Selbstredend ist die Philosophie der Medizin nicht gleichzusetzen mit der Philosophie anderer positiven Wissenschaften, denn, wenn es von Philosophie der Medizin die Rede ist, dann geht es darum, sich damit philosophisch auseinanderzusetzen, was spezifisch ärztlich getan wird, wenn man medizinisch tätig ist und zwar in allen Formen: forschend, literarisch, kurativ, rehabilitativ, palliativ, gesundheitspolitisch, spirituell, etc.
Wesentliche Themen sind die Arzt-Patient-Beziehung, der diagnostische Prozess, die Entscheidungsfindung im Behandlungsprozess, die Reflexion über das Leiden eines Menschen in pathischer Daseinslage, die Gerechtigkeit der Ressourcenallokation , die Dialektik zwischen Krankheits- und Krankengeschichte, die Logik der Prognosestellung, die ethische Begründung von Entscheidungen in offenen bzw. in Extremsituationen.

Kursaufbau:  Das Curriculum Philosophie der Medizin wird vom Lehrbeauftragten in vier Kategorien eingeteilt:

A) Grundlagen der Philosophie der Medizin (1. Was ist Philosophie der Medizin?; 2. Quellen für eine Philosophie der Medizin; 3. Grundlagen der Philosophie der Medizin I: Das ärztliche Handeln; 4. Grundlagen der Philosophie der Medizin II: Ideengeschichte der Medizin; 5. Grundlagen der Philosophie der Medizin III: Geschichte und Leitthemen der Philosophie; 6. Grundlagen der Philosophie der Medizin IV: Paradigmen der Naturwissenschaften).

B) Partizipation der Medizin mit anderen Wissensgebieten aus philosophischer Sicht (1. Anthropologie; 2. Ethik; 3. Soziologie).

C) Wissenschaftstheoretische Bereiche (1. Medizinische Ontologie; 2. Medizinische Erkenntnistheorie; 3. Logik der medizinischen Forschung).

D) Herausforderungen für junge Ärztinnen und Ärzte.

Hochschulpädagogik: Die Schwerpunkte werden gemeinsam mit den Studenten festgelegt. Auf diskursiven Unterricht in Seminarform mit vielen Verbindungen zur Kultur und zu anderen Wissensgebieten sowie auf viele Beispiele und Metaphern wird Wert gelegt. Neben Frontal- und Seminarform werden auch Soziogramme, kleine Referate, Gruppenarbeit, etc. berücksichtigt. Die Note setzt sich aus einem kritischen Essay einer Fachzeitschriftpublikation und aus einer Gruppenprüfung sowie aktiver Beteiligung am Unterricht. Arbeitsmaterial und Präsentationen werden zur Verfügung gestellt.

 

Curricularer Aufbau

A) Grundlagen der Philosophie der Medizin:

1. Was ist Philosophie der Medizin? Vier Perspektiven und eine pragmatische Positionierung.

2. Quellen für eine Philosophie der Medizin (Bücher, Fachzeitschriften, Gesellschaften, Kongresse, Curricula).

3. Grundlagen der Philosophie der Medizin I: Das ärztliche Handeln: a) Analyse der Alltagsmedizin in pragmatischer Hinsicht; b) Analyse von Ausnahme- und Grenzsituationen.

4. Grundlagen der Philosophie der Medizin II: Ideengeschichte der Medizin: a) Forschungsansätze in der Medizingeschichte; b) Abriss einer epochenzentrierten Medizingeschichte; c) Annäherung an die Ideengeschichte der Medizin anhand ausgewählter Themen; d) Annäherung an die Ideengeschichte der Medizin anhand ausgewählter Themen.

5. Grundlagen der Philosophie der Medizin III: Geschichte und Leitthemen der Philosophie: a) Was ist Philosophie? b) Welche Bereiche umfasst die Philosophie?; c) Kernbegriffe der Philosophie; d) Epochen orientierte Geschichte der Philosophie; e) Welche sind die wesentlichen philosophischen Fragestellungen?; f) Einfluss der Philosophie auf die Medizin.

6. Grundlagen der Philosophie der Medizin IV: Paradigmen der Naturwissenshaften: a) Definition von Paradigmen; b) Paradigmen der Naturwissenschaften in historischer Hinsicht; c) Differentialcharakterisierung von Natur- und Geisteswissenschaften am Leitfaden der Dichotomie zwischen Verstehen und Erklären; d) Grundbegriffe der Wissenschaftstheorie (Philosophy of science)

 

B) Partizipation der Medizin mit anderen Wissensgebieten aus philosophischer Sicht:

1. Anthropologie: Was ist Person in der Medizin, Verstehen in der Medizin, duale Sicht des Patienten als krank und gesund zugleich (Ressourcen), biographische und narrative Medizin.

2. Ethik: Grundfragen und Ebenen der Medizinethik, normative Prinzipien von Childress und Beauchamp, medizinische Aufklärung, Ärzte und ihre Entscheidungsängste, spezielle medizinethische Fragestellungen in einer Zeit der (fast) unbegrenzten Möglichkeiten.

3. Soziologie: Arzt-Patient-Rollen, Paternalismus und Partizipation, postmoderne Gesellschaftsverhältnisse, Korrelationen zwischen soziologischen Faktoren und Gesundheit bzw. Krankheit, Ressourcenallokation in der medizinischen Versorgung, Das bio-psycho-soziale-Modell in der Medizin.

 

C) Wissenschaftstheoretische Bereiche im engeren Sinne:

1. Medizinische Ontologie: welches ist das Wesen der Krankheiten und welcher Übergang gibt er zur Gesundheit; Logik medizinischer Klassifikationen und Stellenwert des Leib-Seelen-Dualismus und des Gehirns als Vermittlungsorgan. Das Geheimnis des Placebo-Nocebo-Effektes und das Wesen der Psychosomatischen Medizin.

2. Medizinische Erkenntnistheorie: wie kommen Ärzte zu ihren Diagnosen, Begründungen, Entscheidungen und Prognosen?

3. Logik der medizinischen Forschung: EBM, Value-based-medicine, Leitlinien, kritische Diskussion wichtiger statistischer Begriffe für Promotionsarbeiten, Signifikanz und klinische Relevanz, etc.

 

D) Herausforderungen für junge Ärztinnen und Ärzte

 

 

Tutorenausbildung
an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm

Therapeutische Beziehung und Gesprächsführung in der Anamneseerhebung

(Verantwortlich: Prof. Dr. J. Valdes-Stauber, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I Uni Ulm am ZfP Südwürttemberg, Ravensburg-Weißenau)
Ziel: Wirkfaktoren in der therapeutischen Beziehung, Ebenen der Arzt-Patient-Beziehung/ Interaktion, Techniken der Gesprächsführung sowie Strategien der Anamneseerhebung auf allen medizinischen Gebieten werden erlernt und praktisch eingeübt.

Theoretischer Teil: Visualisierung durch kompakte Texte und Schemata auf einer Präsentation.

  1. Die Arzt-Patient-Beziehung als Ressource und in der Begegnung realer Personen in einer Rollenasymmetrie.
  2. Aspekte der Arzt-Patient-Kommunikation.
  3. Was ist ärztliche Haltung?
  4. Techniken der Anamneseerhebung.
  5. Spezielle Situationen: Chronische, somatisierende, herausfordernde Patienten, etc.

Praktischer Teil: Einübung in wechselnden Rollenspielen und/ oder mit realen Patienten.

  1. Rekapitulation des theoretischen teils.
  2. Reflexion über eigene Lehrbedürfnisse am Anfang des eigenen Medizinstudiums.
  3. Reflexion über eigene in der Interaktion mit Patienten erfahrenen Grenzen: Hilflosigkeit, starkes Bedürfnis des Helfens bzw. des Sich-Einlassens, starkes Gefühl des Abgrenzungs- und Ablehnungsbedürfnisses, emotionale und argumentative Verstrickungen bis hin zur Konfrontation, etc.
  4. Einübungstechniken der kontrafaktischen Antizipation bei gleichzeitiger Authentizität in der Interaktion.
  5. Einübung von Anamneseerhebung nach Erhebungsstilen: Von Unstrukturiert bis hochstrukturiert.
  6. Einübung Anamneseerhebung nach Funktionssystemen oder nach anatomischen Regionen.
  7. Einübung der Anamneseerhebung nach Fachgebieten.
  8. Nachbesprechungen:
  • Grad der Kontrolle von Situationen;
  • Verstrickungen;
  • Souveränität, Angst, Wut, Hilflosigkeit;
  • paternalistische Haltung oder ängstlich-unreflektiertes Nachgeben;
  • ist der Patient abgeholt worden wo er steht?;
  • Korrekturnotwendigkeit des eigenen Stils;
  • womöglich starr nach Schema oder zu unstrukturiert vorgegangen;
  • Reflexion über die Qualität der Beziehung;
  • welche Gefühle sind beim Arzt/bei der Ärztin vorherrschend (auf einer breiten Palette von Langeweile oder verdecktem Sadismus bis hin zu Verschmelzung mit dem Patienten);
  • vermeidbare Interaktionsfehler;
  • erkennen von Wissenslücken auf einem Fachgebiet.

 

 

 

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