Neuroonkologische Sprechstunde

 

Schwerpunkt der Neuroonkologischen Sprechstunde ist die Behandlung hirneigener niedrig- und hochmaligner Tumoren des ZNS, aber auch Patienten mit ZNS-Metastasen systemischer Malignome und mit Meningeosis neoplastica werden in Zusammenarbeit mit den behandelnden Fachdisziplinen betreut. Die Neuroonkologische Sprechstunde findet einmal wöchentlich fest und nach Vereinbarung oder bei Auftreten von Komplikationen kurzfristig statt. Es werden alle in der Behandlung der hirneigenen Tumoren gängigen Systemtherapien, hauptsächlich Temozolomid, Lomustin (CCNU), PC(V) (Procarbazin, CCNU, Vincristin) und Bevacizumab sowie individualisierte Therapien bei bestehenden molekularen Veränderungen der Tumorzellen, für die eine zielgerichtete Therapie möglich ist, durchgeführt. Darüber hinaus werden Tumor-Therapie-Felder, eine Behandlung mit elektrischen Wechselfeldern angeboten. Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom, die zusätzlich zur Chemotherapie mit Temozolomid eine Behandlung mit Tumor-Therapie-Feldern erhielten, wurden ggf. in einer Registerstudie (TIGER-Studie) untersucht. Diese Studie untersuchte die Lebensqualität unter dieser Therapie.

Entsprechend der deutlich verbesserten interdisziplinären Betreuung von Patienten mit neuroonkologischen Krankheitsbildern konnte die Zahl der Ambulanzkontakte im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr erneut deutlich gesteigert werden.

Der klinische Verlauf und das Therapieansprechen werden in entsprechend der Grunderkrankung und Therapie gewählten Intervallen im Rahmen der Ambulanztermine überwacht und die weiterführende bildgebende Diagnostik koordiniert. Da viele Patienten mit Hirntumoren an einer strukturellen Epilepsie leiden, steht auch die Optimierung der antikonvulsiven Medikation im Mittelpunkt. Um eine optimale Versorgung der Patienten sowohl hinsichtlich der fachneurologischen als auch fachonkologischen Aspekte zu gewährleisten, besteht seit September 2016 eine interdisziplinäre Kooperation mit der ZNS-Ambulanz der Klinik für Innere Medizin III unter der Leitung von Frau Dr. Regine Mayer-Steinacker.

Als weiterer Fokus wird während jedem Ambulanzkontakt die Notwendigkeit einer psychoonkologischen sowie sozialmedizinischen Mitbehandlung standardmäßig überprüft und bei Bedarf die entsprechende Leistung über die Psychoonkologie der Universitätsklinik Ulm beziehungsweise den Sozialen Beratungsdienst der Universitätsklinik Ulm angefordert. Selbstverständlich stehen wir auch für Fragen der weiteren Lebensplanung und Lebensführung für Patienten mit Tumoren des zentralen Nervensystems zur Verfügung und unterstützen Patienten und Angehörige in dieser Hinsicht. Bei fortgeschrittenen Erkrankungen gewährleisten wir für die Erkrankten und deren Familien eine bestmögliche Versorgung durch Organisation einer professionellen Pflegeunterstützung (durch Sozialstation oder Brückenpflege) oder Planung der Versorgung in einer speziellen Pflegeeinrichtung. Darüber hinaus wird die Indikation zur Einleitung einer spezialisierten ambulanten palliativen Versorgungsstruktur (SAPV, ambulanter Hospizdienst usw.) geprüft; Strukturen zur Palliativversorgung dieser Patienten in unserer Klinik befinden sich im Aufbau.

Die interdisziplinäre Betreuung von Patienten mit Neuroonkologischen Tumoren in der Neuroonkologischen Sprechstunde ist ein Teilbereich der Versorgung dieser Patienten innerhalb des Comprehensive Cancer Centers Ulm (CCCU), das als onkologisches Spitzenzentrum durch die Deutsche Krebshilfe gefördert wird. Die anderen Behandlungspartner sind neben der Klinik für Innere Medizin III, die Klinik für Neurochirurgie der Universitätsklinik Ulm am Bezirkskrankenhaus Günzburg, die Klinik für Strahlentherapie sowie die Sektion Neuropathologie. Es finden wöchentlich Tumorkonferenzen mit Vertretern aller in die Behandlung der Tumoren des zentralen Nervensystems involvierten Abteilungen statt. Sowohl bei Erstdiagnose als auch regelmäßig im Verlauf werden alle Patienten mit Tumoren des zentralen Nervensystems in der Neuroonkologischen Tumorkonferenz vorgestellt, um im interdisziplinären Austausch die bestmögliche Therapie zu gewährleisten.

Im November 2021 wurde das seit Oktober 2017 bestehende Neuroonkologische Zentrum Ulm von OnkoZert im Rahmen eines Überwachungsaudits eine erneute Zertifizierung empfohlen. Frau Dr. R. Kassubek ist als Zentrumkoordinatorin, Herr Dr. Engelke, Oberarzt der Neurochirurgie am BKH Günzburg, als Zentrumsleiter eingesetzt. Um auch die Betreuung unserer stationären Patienten mit Tumorerkrankungen weiter zu optimieren, werden seit 2017 alle Patienten mit aktiven Malignomen einmal wöchentlich von einer onkologischen Fachpflegekraft visitiert. Inhaltlich werden in diesem Rahmen insbesondere Tumor- und Tumortherapie-assoziierte Beschwerden und pflegerische Linderungsoptionen adressiert. In Zusammenarbeit mit den behandelnden Stationsärzten zählen auch Angehörigengespräche sowie Evaluation der Indikation für eine weitere psychoonkologische und sozialmedizinische Betreuung in einem interdisziplinären Setting zum Spektrum der wöchentlichen Visiten.

Profilbild von Dr. med. Rebecca Kassubek

Dr. med. Rebecca Kassubek

Oberärztin

Neben der klinischen Versorgung von neuroonkologischen Patienten werden auch auf wissenschaftlicher Ebene Strukturen geschaffen und optimiert.

In Anlehnung an eine 2017 veröffentlichte Bildgebungsstudie zur Beschreibung des Langzeiteffektes von Strahlentherapie auf die Integrität der weißen Substanz, unter der Leitung von Frau Dr. R. Kassubek wurde ein umfassenderes Projekt entwickelt, mit dem Ziel therapieassoziierte Veränderungen des Gehirns, erfasst mit verschiedenen computer-basierten Imagingmethoden, zu analysieren und Unterschiede zwischen unterschiedlichen Therapiestrategien zu identifizieren. Dieses Projekt erfolgt in Kooperation mit Professor Dr. H. Nießen, Fa. Boehringer Ingelheim, es konnte erfreulicherweise eine finanzielle Förderung der wissenschaftlichen Datenakquisition durch die Fa. Boehringer eingeworben werden. Ein ausführliches Review zu diesem Thema erschien 2020 (R. Kassubek et al, Drug Discov Today 2020). Es erfolgt bei der Patientenrekrutierung und Datenerhebung eine enge Zusammenarbeit mit den Kollegen der Neurochirurgie am Bezirkskrankenhaus Günzburg sowie den Kollegen der Neuroradiologie am Bezirkskrankenhaus Günzburg.

Assoziiert mit der Neuroonkologischen Sprechstunde werden Patienten mit paraneoplastischen neurologischen Syndromen (PNS) und, hier z.T. in Kooperation mit der Sprechstunde für entzündliche ZNS-Erkrankungen, Leiter Prof. Hayrettin Tumani, Patienten mit fakultativ paraneoplastischen Autoimmunencephalitiden in der Sprechstunde für paraneoplastische Syndrome und Autoimmunencephalitiden (Prof. Dr. Jan Lewerenz) betreut oder Patienten beraten, bei denen der Verdacht auf ein solches Syndrom vorliegt. Bei diesen Erkrankungen handelt es sich um autoimmunologisch bedingte Erkrankungen des Nervensystems, die als Fernwirkung eines bekannten oder noch nicht bekannten Tumorleidens auftreten können. Wichtige diagnostische Marker sind hier sogenannte onkoneuronale und antineuronale Antikörper im Blut und/der Liquor, die im Liquorlabor des RKU unter Leitung von Prof. Dr. J. Lewerenz und Prof. Dr. Hayrettin Tumani bestimmt werden (siehe Bericht Liquorlabor). Schwerpunkte der Patientenbetreuung sind hier die Steuerung der Immunsuppression und die Koordination der längerfristigen wiederholten Tumorsuche bei Patienten hochgradigem Verdacht auf das Vorliegen eines PNS ohne bisher entdeckten Tumor. 

Als eines der >50 aktiven Zentren des German Network for REsearch on Autoimmune Encephalitis (GENERATE) werden im Rahmen dieser Sprechstunde Patienten mit paraneoplastischen Syndromen und Autoimmunencephalitiden in die deutschlandweite GENERATE-Registerstudie eingeschlossen und nachverfolgt. Ziel dieses Registers ist die Verbesserung der Diagnose und Therapie der Erkrankungen. Hierfür besteht ab Mai 2019 eine 3-jährige Förderung durch das BMBF. Zusätzlich konnte für den Bereich der PNS im Jahre 2021 Förderung über das Boehringer-Ingelheim University BioCenter eingeworben werden. In dem Projekt sollen die immunologischen und molekularen Grundlagen der fehlenden Tumor-mediierten Immunsuppression bei Patienten mit PNS als auch deren Auswirkung auf der Tumorwachstum untersucht werden.

Themen, die vor Ort analysiert werden, sind die typischen Liquorbefunde bei Patienten mit Autoimmunencephalitis assoziiert mit LGI1- und NMDAR-Antikörpern (Cand. med. Marc Dürr) und anderen Autoimmunencephalitiden (Tetyana Blinder), PNS (Cand med. Britta Greshake, Cand. med. Christian Hofmann), die regionale Atrophie bei Patienten mit IgLON5-Antikörper-assoziierter Encephalopathie (Cand. med. Carina Wingart) sowie Risikofaktoren für die Entstehung einer persistierenden cerebellären Ataxie nach Encephalitis mit Anti-NMDA-Rezeptor-Antikörpern (Cand. med. Marie Riemann) sowie deren Ko-Inzidenz mit Multipler Sklerose (Cand. med. Loana Penner).

Als drittes Gebiet sind die ärztlichen Mitarbeiter des Bereiches Neuroonkologie für den Teilbereich Neurologie der interdisziplinären Neurofibromatose-Sprechstunde verantwortlich. Bei der Neurofibromatose handelt es sich um eine genetische Erkrankung, bei der es regelhaft zu gutartig wachsenden, gegebenenfalls auch neurologische Beschwerden verursachenden Tumoren, sogenannten Neurofibromen, kommt. Darüber hinaus ist jedoch auch das Risiko für Krebserkrankungen, unter anderem des Nervensystems erhöht. In Zusammenarbeit mit den Abteilungen für Neurochirurgie, des Instituts für Humangenetik, der Klinik für Dermatologie und der Sektion Sozialpsychiatrisches Zentrum und Pädiatrische Neurologie wird einmal monatlich eine interdisziplinäre Neurofibromatose-Sprechstunde angeboten. In diesem Rahmen werden Untersuchungen und Beratungen in allen Bereichen der beteiligten Fachdisziplinen im Team durchgeführt.