Chro­ni­sche mye­loi­sche Leuk­ämie (CML)

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    Prof. Dr. med. Kon­stanze Döh­ner

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    Priv.-Doz. Dr. med. Frank Ste­gel­mann

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Beschrei­bung der Erkran­kung

Die chro­ni­sche mye­loi­sche Leuk­ämie (CML) ist eine bös­ar­tige Blut­erkran­kung mit lang­sa­mem Ver­lauf. Die CML ist durch Ent­ar­tung der Blut­stamm­zelle gekenn­zeich­net, die zu unkon­trol­lier­ter Ver­meh­rung bestimm­ter Unter­grup­pen wei­ßer Blut­kör­per­chen (Leu­ko­zy­ten) führt. Unbe­han­delt geht die schlei­chende Erkran­kung („chro­ni­sche Phase“) nach eini­gen Jah­ren in eine bedroh­li­chere und schnel­ler ver­lau­fende Form über („Akze­le­ra­ti­ons­phase“) und erscheint zuletzt wie eine akute Leuk­ämie („Blas­ten­krise“).

Häu­fig­keit und Erkran­kungs­al­ter

Die CML ist eine sel­tene Blut­erkran­kung. In Deutsch­land erkran­ken ca. 1-2 Erwach­sene pro 100.000 Ein­woh­ner und Jahr. Das Risiko an einer CML zu erkran­ken nimmt mit stei­gen­dem Lebens­al­ter zu, die Erkran­kung kann aber in allen Alters­grup­pen auf­tre­ten.

Ursa­chen und Risi­ko­fak­to­ren

Bei den meis­ten Pati­en­ten kann keine Ursa­che für die Ent­ste­hung der CML her­aus­ge­fun­den wer­den. Expo­si­tion gegen­über ioni­sie­ren­den Strah­len und Che­mi­ka­lien wie Ben­zol för­dern die Ent­ar­tung von Blut­stamm­zel­len. Wei­tere Fak­to­ren, die die Ent­ste­hung der CML begüns­ti­gen, sind bis­lang nicht bekannt. In über 90% der Fälle liegt der Erkran­kung eine defi­nierte gene­ti­sche Ver­än­de­rung zugrunde, das sog. Philadelphia-​​Chromosom, das im Kno­chen­mark nach­ge­wie­sen wer­den kann. Die­ses ent­steht durch Aus­tausch von Erb­ma­te­rial zwi­schen den Chro­mo­so­men 9 und 22. Auf Gen-​Ebene ent­steht eine Zusam­men­la­ge­rung der bei­den Gene BCR und ABL1. Man geht davon aus, dass das Philadelphia-​​Chromosom bzw. BCR-​​ABL1 die ver­mehrte Tei­lung der Blut­zel­len ver­ur­sacht. In spä­te­ren Erkran­kungs­sta­dien kom­men noch wei­tere Gen­ver­än­de­run­gen hinzu.

Krank­heits­zei­chen

Da Blut­un­ter­su­chun­gen heut­zu­tage häu­fig durch­ge­führt wer­den, wird die CML bei einem Groß­teil der Pati­en­ten in einem frü­hen Sta­dium dia­gnos­ti­ziert. Viele Pati­en­ten haben von der Erkran­kung zum Zeit­punkt der Dia­gnose noch nichts bemerkt. Cha­rak­te­ris­tisch ist eine sym­ptom­lose Ver­meh­rung der wei­ßen Blut­kör­per­chen (Leu­ko­zy­tose). In eini­gen Fäl­len kom­men außer­dem Müdig­keit, Leis­tungs­min­de­rung und Nacht­schweiß vor. Ins­be­son­dere in fort­ge­schrit­te­ne­ren Sta­dien ist regel­mä­ßig eine Milz­ver­grö­ße­rung vor­han­den, die zu einem Druck­ge­fühl im lin­ken Ober­bauch füh­ren kann.

Unter­su­chun­gen

Pati­en­ten­ge­spräch und kör­per­li­che Unter­su­chung

In einem aus­führ­li­chen Gespräch wer­den sämt­li­che Beschwer­den und rele­vante Vor­er­kran­kun­gen erfragt. In einer kör­per­li­chen Unter­su­chung kann bei einem Teil der Pati­en­ten eine Milz­ver­grö­ße­rung durch Abtas­ten des lin­ken Ober­bauchs fest­ge­stellt wer­den.


Labor­un­ter­su­chun­gen

Blut­un­ter­su­chun­gen geben die wich­tigs­ten Hin­weise, um die Dia­gnose der CML zu stel­len. Neben der Zäh­lung der Blut­zel­len hilft hier beson­ders die mikro­sko­pi­sche Unter­su­chung eines Blut­aus­strichs wei­ter. Moderne mole­ku­lar­ge­ne­ti­sche Unter­su­chun­gen erhär­ten den Ver­dacht auf die Erkran­kung (sog. BCR-​​ABL1 PCR aus dem Blut). Dar­über hin­aus sollte eine Kno­chen­mark­un­ter­su­chung durch­ge­führt wer­den, da sie den Nach­weis des Philadelphia-​​Chromosoms erlaubt und für die Sta­di­en­ein­tei­lung wich­tig ist.


Wei­tere Unter­su­chun­gen

Eine Ultra­schall­un­ter­su­chung wird durch­ge­führt, um die Bauch­or­gane und ins­be­son­dere die Milz­größe genauer beur­tei­len zu kön­nen. Auf Rönt­gen­un­ter­su­chun­gen kann in der Regel ver­zich­tet wer­den.

Klas­si­fi­ka­tion und Sta­di­en­ein­tei­lung

Die Dif­fe­ren­zie­rung der Erkran­kungs­pha­sen der CML (chro­ni­sche Phase, Akze­le­ra­ti­ons­phase und Blas­ten­krise) wird anhand der Blut- und Kno­chen­mark­un­ter­su­chung vor­ge­nom­men. Dies ermög­licht die Bera­tung über die best­mög­li­che Behand­lungs­stra­te­gie.

Behand­lungs­mög­lich­kei­ten

Wich­tig ist, dass die The­ra­pie unmit­tel­bar nach Dia­gno­se­stel­lung begon­nen wird, da die CML in wei­ter fort­ge­schrit­te­nen Sta­dien schwe­rer behan­del­bar ist als in der frü­hen Phase. Durch den Ein­satz neuer Medi­ka­mente, die das Prin­zip der mole­ku­lar ziel­ge­rich­te­ten The­ra­pie ver­fol­gen, hat die Behand­lung der CML in den letz­ten Jah­ren enorme Fort­schritte gemacht.

 
Ziel­ge­rich­tete Medi­ka­mente

Deren Wir­kung beruht auf der geziel­ten Hem­mung der cha­rak­te­ris­ti­schen Ver­än­de­run­gen in den Leuk­ämie­zel­len, die durch das Philadelphia-​​Chromosom bzw. BCR-​​ABL1 ent­ste­hen (sog. Tyrosinkinase-​​Inhibitoren, TKI). TKI wer­den in Tablet­ten­form ein- bis zwei­mal täg­lich ein­ge­nom­men. Der am längs­ten erprobte TKI ist Ima­ti­nib. Neben­wir­kun­gen wie Übel­keit, Mus­kel­krämpfe und Flüs­sig­keits­an­samm­lun­gen im Gewebe (Ödeme) kön­nen auf­tre­ten. Die in den letz­ten Jah­ren ent­wi­ckel­ten TKI der zwei­ten Gene­ra­tion (Nilo­ti­nib) und Dasa­ti­nib) sind Stu­di­en­ergeb­nis­sen zufolge noch wirk­sa­mer als Ima­ti­nib und daher seit 2010 eben­falls für die Erst­li­ni­en­be­hand­lung der CML in chro­ni­scher Phase zuge­las­sen. Dar­über hin­aus ste­hen mitt­ler­weile für Pati­en­ten mit Unver­träg­lich­keit auf die genann­ten TKI oder in spe­zi­el­len Situa­tio­nen mit Auf­tre­ten einer TKI-​​Resistenz oder -​Intoleranz zwei wei­tere Medi­ka­mente (eben­falls TKI) zur Ver­fü­gung: Bosuti­nib  und Pona­ti­nib.

In den meis­ten Fäl­len nor­ma­li­sie­ren sich schon nach weni­gen Wochen der The­ra­pie die wei­ßen Blut­kör­per­chen. Der Behand­lungs­er­folg wird durch regel­mä­ßige Blut­un­ter­su­chun­gen (mit­tels Blut­bild und BCR-​​ABL1 PCR) bestimmt. In man­chen Fäl­len ist auch eine erneute Kno­chen­mark­un­ter­su­chung not­wen­dig bzw. sinn­voll, um das The­ra­pie­an­spre­chen zu über­prü­fen. Bei vie­len Pati­en­ten spricht die Behand­lung so gut an, dass nach eini­gen Mona­ten oder weni­gen Jah­ren The­ra­pie die Krank­heit kaum oder nicht mehr nach­weis­bar ist. Bis vor eini­gen Jah­ren ist man davon aus­ge­gan­gen, dass auch bei die­sen Pati­en­ten die täg­li­che Ein­nahme des TKI dau­er­haft not­wen­dig ist, um die CML zu kon­trol­lie­ren und das Fort­schrei­ten der Erkran­kung zu ver­hin­dern. Neuere Unter­su­chun­gen zei­gen jedoch, dass etwa die Hälfte der Pati­en­ten mit sehr gutem The­ra­pie­an­spre­chen die Medi­ka­tion dau­er­haft abset­zen kann, ohne dass die CML wie­der nach­weis­bar wird (sog. The­ra­pie­freie Remis­sion, TFR). Dazu sind jedoch, beson­ders in den ers­ten Mona­ten nach dem Abset­zen, eng­ma­schige Kon­trol­len der mini­ma­len Rester­kran­kung (BCR-​ABL1 PCR aus dem Blut) erfor­der­lich, um eine erneute The­ra­pie­not­wen­dig­keit früh­zei­tig zu erken­nen, bevor die CML wie­der im Blut­bild erkenn­bar ist.

Stamm­zell­trans­plan­ta­tion

Auf­grund der sehr guten Behand­lungs­er­folge der Erkran­kung durch die genannte Tablet­ten­the­ra­pie hat die Bedeu­tung der Stamm­zell­trans­plan­ta­tion bei der CML in den letz­ten Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich abge­nom­men und kommt vor allem für Pati­en­ten mit unzu­rei­chen­dem Anspre­chen der TKI-​​Therapie (z.B. bei Auf­tre­ten sog. Resis­ten­zen gegen­über den Medi­ka­men­ten) oder in fort­ge­schrit­te­nen Sta­dien der Erkran­kung (z.B. in der Blas­ten­krise) in Betracht. Wegen der Gefahr schwer­wie­gen­der Kom­pli­ka­tio­nen im Rah­men der Trans­plan­ta­tion muss eine beson­ders sorg­fäl­tige Risiko-​​Nutzen-Abwägung erfol­gen. Die Trans­plan­ta­tion wird mit Blut­stamm­zel­len von einem Geschwis­ter­spen­der oder einem Fremd­spen­der durch­ge­führt (sog. allo­gene Blut­stamm­zell­trans­plan­ta­tion).

Che­mo­the­ra­pie

Eine milde Form von Che­mo­the­ra­pie mit Tablet­ten ist manch­mal für einige Tage bei Erst­dia­gnose not­wen­dig, wenn eine sehr starke Ver­meh­rung wei­ßer Blut­zel­len vor­liegt. Inten­si­vere Che­mo­the­ra­pie, die in Form von Infu­sio­nen ver­ab­reicht wird, wird nur ein­ge­setzt, wenn ein spä­te­res Erkran­kungs­sta­dium vor­liegt oder eine Blut­stamm­zell­trans­plan­ta­tion durch­ge­führt wer­den soll.

Leben mit Krebs

Die meis­ten Pati­en­ten, bei denen die Behand­lung der CML recht­zei­tig ein­ge­lei­tet wird, kön­nen durch den Ein­satz von TKI ein weit­ge­hend nor­ma­les Leben füh­ren.
Bei unkom­pli­zier­tem Erkran­kungs­ver­lauf wer­den in der Regel drei- bis sechs­mo­na­tige Kon­trol­len bei einem Spe­zia­lis­ten für Blut­erkran­kun­gen durch­ge­führt.

Pro­gnose

Die Pro­gnose der CML ist bei früh­zei­ti­ger Dia­gno­se­stel­lung sehr gut. In der Lang­zeit­an­wen­dung von TKI in chro­ni­scher Phase wer­den lang­fris­tige Über­le­bens­ra­ten von über 90% berich­tet.
Pro­ble­ma­ti­scher ist die Situa­tion in den fort­ge­schrit­te­nen Sta­dien (in der Akze­le­ra­ti­ons­phase und v.a. in der Blas­ten­krise), in der häu­fig inten­sive The­ra­pie­maß­nah­men wie die Blut­stamm­zell­trans­plan­ta­tion zur Anwen­dung kom­men müs­sen.
Um bei der CML wei­tere Fort­schritte in der Behand­lung zu erzie­len, sind kli­ni­sche Stu­dien not­wen­dig.