Ein rutschiger Weg, ein Unfall beim Sport, eine verpasste Stufe… ein Knochenbruch ist schnell passiert. Wer dann am Universitätsklinikum Ulm einen Gips benötigt, ist bei Norbert Erhart in der chirurgischen Ambulanz in den besten Händen. Seit 35 Jahren ist der Gipsraum sein Revier. Passend zur kalten und rutschigen Jahreszeit haben wir mit unserem Gips-Experten gesprochen: Über Handwerkskunst, neue Behandlungsmethoden und warum er seinen Job immer noch so gerne macht.
Herr Erhart, wie ist Ihr beruflicher Werdegang verlaufen?
Ich habe 1980 eine Krankenpflege-Ausbildung gemacht, war dann für zwei Jahre in der Gefäßchirurgie und bin anschließend im RKU zum Gipsen gekommen. Danach hat mich die Chirurgie gereizt. In der chirurgischen Ambulanz am Safranberg war ich meistens im Gipsraum tätig. Aber ich war auch gern im Schockraum im Einsatz oder bei ambulanten Operationen. Damals hatten wir viele Patientinnen und Patienten, deren Gelenke eingerenkt oder gestreckt werden mussten bevor der Gips angelegt wurde. Seit 2012 bin ich nun in der chirurgischen Ambulanz auf dem Oberen Eselsberg. Es gibt Weiterbildungen zur Gipspflege bzw. zu Gips-und Stützverbandtechniken, darüber hinaus sind aber die Erfahrungen durch die tägliche Praxis ganz wesentlich.
Wann kommt ein Gips zum Einsatz?
Brüche können operativ oder konservativ versorgt werden, je nach Schweregrad. Dafür ist die radiologische Diagnostik sehr hilfreich. Manche Brüche werden reponiert (eingerenkt) und anschließend gegipst. Bei einfachen Brüchen werden Schienen oder geschlossene Gips- oder Kunststoffverbände angelegt. Meist sind Schienen vor und nach Operationen erforderlich, da Verletzungen noch anschwellen können. Schienen beugen Bewegungseinschränkungen vor (Kontrakturprophylaxe) und umschließen mit elastischen Binden das betroffene Körperteil nur teilweise. Der Gipsverband fixiert nach der Reposition die Stellung, dann kann operiert oder konservativ ausbehandelt werden.
In all den Jahren hat sich sicherlich einiges geändert…
Auf jeden Fall. Heute gibt es mehr Operationen, weil die Verfahren immer besser und schonender werden. Frühe Mobilisation ist auch wichtig. Eine Verletzung bleibt nicht mehr so lange fixiert und wird früher wieder bewegt. Auch die Materialien haben sich verändert, jedes Material hat Vor- und Nachteile. Der Kunststoffgips, der oft als Sekundär-Verband genutzt wird wenn die erste Schwellung vergangen ist, besteht aus Glasfasern oder Polyester und ist mit Kunststoffharz beschichtet. Nach ca. 30 Minuten ist er schon komplett ausgehärtet und dadurch schnell sehr belastbar. Damit kann man auch kleine Schienen anfertigen, weil der Kunsstoffgips, im Gegensatz zum klassischen Gips, eine hohe Stabilität hat. Das Anfertigen dauert nicht lange, es ist aber sehr wichtig auf eine ausreichende Polsterung an den richtigen Stellen zu achten. Wenn der Verband zu eng ist, können gefährliche Druckstellen und Schwellungen entstehen. Bei Frakturen und Repositionen werden aber auch, oft als Primärversorgung, klassische Gipsverbände genutzt, die das ganze Körperteil umschließen und bei Schwellungen geöffnet werden können. Das ist ein großer Vorteil gegenüber dem Kunststoffgips. Der klassische Gips lässt sich außerdem gut modellieren. Daneben gibt es auch fertige Schienen aus gepolstertem Kunststoff. Diese sind häufig sehr schwer und haben keine individuelle Passform.
Welche neuen Entwicklungen gibt es sonst noch?
Eine moderne Ergänzung zu den klassischen Verbänden ist der sogenannte Woodcast. Das ist ein leicht formbares Material aus Holz. Das Material ist schadstofffrei und besonders ökologisch. Es lässt sich erhitzen, neu formen und wiederverwerten wenn der Gips angepasst werden muss. Sogar Röntgenstrahlen lässt das Material durch.
Ist es schwer einen guten Gips anzulegen?
Es braucht vor allem viel Erfahrung. Gipsen ist ein Handwerk. Bevor der Gips angelegt wird, sind die Röntgenbilder wichtig um zu verstehen: Wo genau ist der Bruch, welche Stelle muss besonders gestützt werden? Hier an der Uniklinik Ulm verfügen wir über Diagnostik auf Spitzenniveau. Die präzise Bildgebung kommt letztendlich den Patientinnen und Patienten zu Gute. Dann gibt es auch noch Rücksprachen mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt. Wichtig sind natürlich auch Vorerkrankungen oder andere körperliche Einschränkungen der Patientinnen und Patienten, die man berücksichtigen muss.
Haben Sie ein Beispiel?
Die Leute werden älter, viele müssen Blutverdünner nehmen. Da für Senioren eine OP oftmals anstrengender ist, als für einen jüngeren Menschen, kommt dann oft statt dessen ein Gips zum Einsatz. Aber natürlich hat so ein Gips auch Nachteile, steif gewordene Gelenke zum Beispiel oder Muskelschwund und verklebte Sehnen. Durch fehlende Bewegung kann eine Thrombose entstehen, gerade bei Beinbrüchen. Je mehr Gipse man im Laufe der Jahre angelegt hat, umso besser weiß man, wie man den Gips modellieren muss, damit die Patientinnen und Patienten keine Probleme haben. Jeder Gips ist individuell. Der Gips darf nicht drücken oder in irgendeiner Art und Weise Schmerzen verursachen. Der Gips bringt die Fraktur wieder in die richtige Position, dahinter steckt mehr als nur eine Gipsbinde um ein Körperteil zu wickeln. Gipsen und andere Verbandstechniken brauchen viel Erfahrung!
Wenn man Ihnen zuschaut sieht man, dass Ihnen die Arbeit immer noch Spaß macht. Woran liegt das?
Meine Arbeit ist vielfältig. Ich kann meine ganze Erfahrung und mein medizinisches Fachwissen einbringen, bin im engen Austausch mit Ärztinnen und Ärzten und den Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege. Jeden Tag versorge ich Menschen mit ganz unterschiedlichen Beschwerden und Anforderungen, auf die ich eingehen muss. Besonders bei Kindern ist es wichtig, die Angst zu nehmen. Viele befürchten, dass es weh tut, wenn der Gips angelegt oder aufgesägt wird. Ein Gips muss regelmäßig gewechselt werden, das heißt ich begleite die Patientinnen und Patienten und den Krankheitsverlauf eine Weile. Es ist schön zu sehen, wenn am Ende wieder alles gut zusammengewachsen ist.
Vielen Dank für das Gespräch!