Coro­na­vi­rus kapert anti­vi­rale Immun­fak­to­ren

SARS-​CoV-2 nutzt Interferon-​induzierte Trans­mem­bran­pro­te­ine zur effek­ti­ven Infek­tion

Wie gelingt es dem Coro­na­vi­rus SARS-​CoV-2 sich so effek­tiv im Kör­per aus­zu­brei­ten? Einer der Gründe ist, dass es sich ursprüng­li­che „Geg­ner“ zu „Hel­fern“ macht. Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Ulm haben in einer Stu­die gezeigt, dass SARS-​CoV-2 soge­nannte Interferon-​induzierten Trans­mem­bran­pro­te­ine (IFITMs) benutzt, um effek­ti­ver in Wirts­zel­len ein­zu­drin­gen. IFITMs sind eigent­lich für ihre anti­vi­rale Wir­kung bekannt. Die Ulmer For­schen­den konn­ten nun nach­wei­sen, dass SARS-​CoV-2 diese Trans­mem­bran­pro­te­ine „miss­braucht“ und dadurch noch infek­tiö­ser wird.

Das Coro­na­vi­rus nutzt eine Viel­zahl an raf­fi­nier­ten Stra­te­gien, um das mensch­li­che Immun­sys­tem aus­zu­trick­sen. Nur so gelingt es SARS-​CoV-2, Men­schen effek­tiv zu infi­zie­ren und sich rasch aus­zu­brei­ten. For­sche­rin­nen und For­scher der Ulmer Uni­ver­si­täts­me­di­zin haben nun her­aus­ge­fun­den, dass das Virus, das für die COVID-​19-​Pandemie ver­ant­wort­lich ist, bestimmte Mem­bran­pro­te­ine „kapert“ und für seine eigene Ver­meh­rung nutzt. Dabei geht es um soge­nannte Interferon-​induzierte Trans­mem­bran­pro­te­ine (IFITMs), die bis­lang eher dafür bekannt sind, dass sie ver­schie­dene virale Krank­heits­er­re­ger, wie bei­spiels­weise HIV oder Grip­pe­vi­ren, in Schach hal­ten. Die Ulmer Stu­die zeigt, dass SARS-​CoV-2 IFITMs für die effek­tive Infek­tion von mensch­li­chen Zel­len nutzt. Ver­öf­fent­licht wur­den die Ergeb­nisse kürz­lich im Fach­jour­nal „Nature Com­mu­ni­ca­ti­ons“.

„Diese Ergeb­nisse haben uns sehr über­rascht. Waren Interferon-​induzierte Trans­mem­bran­pro­te­ine doch bis­lang eher für ihre anti­vi­rale Wir­kung bekannt“, sagt Pro­fes­sor Frank Kirch­hoff. Der Lei­ter des Insti­tuts für Mole­ku­lare Viro­lo­gie am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Ulm ist  Seni­or­au­tor der Stu­die. Die Ulmer Daten ste­hen ver­meint­lich im Wider­spruch zu Resul­ta­ten ande­rer For­schungs­grup­pen, die berich­te­ten, dass IFITM-​Proteine humane Coro­na­vi­ren hem­men. „Die schein­ba­ren Wider­sprü­che las­sen sich jedoch erklä­ren“, hebt Dr. Kon­stan­tin Spar­rer her­vor. Der Wis­sen­schaft­ler lei­tet am Insti­tut für Mole­ku­lare Viro­lo­gie eine BMBF-​Nachwuchsgruppe und war an der Stu­die eben­falls feder­füh­rend betei­ligt. „Frü­here Ergeb­nisse – die wir übri­gens expe­ri­men­tell bestä­ti­gen konn­ten – wur­den unter sehr künst­li­chen Bedin­gun­gen erzielt. So wur­den bei­spiels­weise die IFITMs arti­fi­zi­ell über­ex­pri­miert und meist soge­nannte Pseu­do­vi­rio­nen ver­wen­det“, erläu­tert Kirch­hoff und ergänzt „Wenn jedoch Zel­len aus rele­van­ten mensch­li­chen Gewe­ben wie Lunge, Herz oder Darm mit rich­ti­gem SARS-​COV-2 infi­ziert wer­den, erhö­hen IFITMs die virale Infek­tion und Pro­duk­tion infek­tiö­ser Viren um meh­rere Grö­ßen­ord­nun­gen. Dies konn­ten wir in unse­rer Stu­die eben­falls zei­gen.“

Für die Stu­die, an der auch inter­na­tio­nale Koope­ra­ti­ons­part­ner und zahl­rei­che wei­tere For­schende der Ulmer Uni­ver­si­täts­me­di­zin betei­ligt waren, wur­den expe­ri­men­telle Bedin­gun­gen genutzt, die eine grö­ßere phy­sio­lo­gi­sche Rele­vanz als die bis­her ver­wen­de­ten Sys­teme haben. So wur­den unter ande­rem pri­märe Lungen-​, Herz- und Darm­zel­len und auch Orga­no­ide ver­wen­det. Bei schwe­ren Ver­läu­fen gehö­ren Lunge, Herz und Darm zu den Haupt­zie­len einer SARS-​CoV-2-​Infektion. Orga­no­ide sind künst­li­che 3D-​Miniorgane, die die reale Situa­tion –bei­spiels­weise im Darm – bes­ser nach­bil­den als her­kömm­li­che Zell­kul­tu­ren.

Die For­scher fan­den auch erste Hin­weise auf den ver­stär­ken­den Mecha­nis­mus. „Mit hoch­leis­tungs­mi­kro­sko­pi­scher Bild­ge­bung und hoch­emp­find­li­chen Inter­ak­ti­ons­tests konn­ten wir nach­wei­sen, dass das Spike-​Protein von SARS-​CoV-2 mit den IFITMs inter­agiert und diese aus­nutzt, was den Virus-​Eintritt för­dert“, brin­gen Cate­rina Prelli Bozzo und Ray­hane Nchioua – beide sind Erst­au­torin­nen der Stu­die – die Ergeb­nisse auf den Punkt. Umge­kehrt konn­ten die Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler zei­gen, dass die Infek­tion weit weni­ger effi­zi­ent abläuft, wenn die Pro­duk­tion die­ser Mem­bran­pro­te­ine expe­ri­men­tell unter­drückt wird.

Das uner­war­tete Ergeb­nis, dass IFITMs Kofak­to­ren einer effek­ti­ven SARS-​CoV-2-​Infektion sind, hat auch the­ra­peu­ti­sches Poten­tial. „Blo­ckiert man die IFITMs mit Anti­kör­pern, hemmt dies die Infek­tion mensch­li­cher Lungen-​, Herz- und Darm­zel­len“, berich­ten die For­schen­den. Wei­ter­hin hilft das Ergeb­nis zu erklä­ren, wieso sich die­ses Coro­na­vi­rus so effi­zi­ent aus­brei­ten kann: unter ande­rem indem es Interferon-​induzierte Trans­mem­bran­pro­te­ine, die nor­ma­ler­weise anti­vi­ral wir­ken, für eigene Zwe­cke miss­braucht.

Geför­dert wurde das For­schungs­pro­jekt mit Geld­mit­teln der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) und des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Bil­dung und For­schung (BMBF) sowie der Son­der­för­der­maß­nahme Covid-​19 des MWK. Das Pro­jekt ist ein­ge­bet­tet im DFG-​Sonderforschungsbereich 1279 „Nut­zung des mensch­li­chen Pep­ti­doms zur Ent­wick­lung neuer anti­mi­kro­bi­el­ler und anti-​Krebs The­ra­peu­tika“.

 

Wei­tere Infor­ma­tio­nen:

Dr. Kon­stan­tin Spar­rer, E-​Mail: kon­stan­tin.spar­rer@uni-​ulm.de oder
Prof. Dr. Frank Kirch­hoff, E-​Mail: Frank.Kirch­hoff@uni-​ulm.de

 

Lite­ra­tur­hin­weis:

IFITM pro­te­ins pro­mote SARS-​CoV-2 infec­tion and are tar­gets for virus inhi­bi­tion in vitro

Cate­rina Prelli Bozzo, Ray­hane Nchioua, Meta Volcic, Lenn­art Koepke, Jana Krü­ger, Desi­ree Schütz, San­dra Hel­ler, Chris­tina M. Stür­zel, Dorota Kmiec, Carina Con­zel­mann, Janis Mül­ler, Fabian Zech, Eli­sa­beth Braun, Rüdi­ger Groß , Lukas Wett­stein , Tat­jana Weil, Johanna Weiß, Fede­rica Dio­fano, Armando A. Rodríguez Alfonso, Sebas­tian Wiese, Daniel Sau­ter, Jan Münch, Chris­tine Gof­finet, Alberto Cata­nese, Michael Schön, Tobias M. Boeckers, Stef­fen Sten­ger, Kei Sato, Stef­fen Just, Alex­an­der Kle­ger, Kon­stan­tin M. J. Spar­rer & Frank Kirch­hoff

Nature Com­mu­ni­ca­ti­ons (2021) 12:4584

https://doi.org/10.1038/s41467-021-24817-y

 

Das Forschungsteam aus dem Institut für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm. (v.l.) Dr. Konstantin Sparrer, Caterina Prelli Bozzo, Dr. Meta Volcic, Rayhane Nchioua und Prof. Frank Kirchhoff.

Das For­schungs­team aus dem Insti­tut für Mole­ku­lare Viro­lo­gie des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Ulm. (v.l.) Dr. Kon­stan­tin Spar­rer, Cate­rina Prelli Bozzo, Dr. Meta Volcic, Ray­hane Nchioua und Prof. Frank Kirch­hoff.

Für diese SARS-CoV-2-Studie wurden Darm-Organoide infiziert. Auf der fluoreszenzmikroskopischen Aufnahme dargestellt ist ein gefärbter Schnitt. Zu erkennen sind rot das Spike Protein in den infizierten Zellen, grün E-Cadherin und blau die Zellkerne.

Für diese SARS-​CoV-2-​Studie wur­den Darm-​Organoide infi­ziert. Auf der fluo­res­zenz­mi­kro­sko­pi­schen Auf­nahme dar­ge­stellt ist ein gefärb­ter Schnitt. Zu erken­nen sind rot das Spike Pro­tein in den infi­zier­ten Zel­len, grün E-​Cadherin und blau die Zell­kerne.