Erste europäische und internationale Erhebungen in der Allgemeinbevölkerung zeigen, dass sich unter hundert Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens eine mit einer Transidentität und bis zu dreißig Personen befinden, die ihr Geschlecht weder als ausschließlich weiblich noch als ausschließlich männlich bezeichnen.
An der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm wird seit gut drei Jahren eine spezielle Sprechstunde für Transidentität und sexuelle Identitätsentwicklung im Kindes- und Jugendalter (TIKA)angeboten, die aktuell von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Sarah Schönke und der Oberärztin Dr. Ines Mendler betreut wird. Hier erzählen sie uns ein wenig mehr über Geschlechtsdysphorie und welche Beratungs- und Hilfsangebote Betroffene in der Sprechstunde erwarten können.
Wer bittet um einen Termin in Ihrer Sprechstunde?
Sarah Schönke und Dr. Ines Mendler: "In unsere Spezialsprechstunde für Transidentität und sexuelle Identitätsentwicklung im Kindes- und Jugendalter (TIKA) kommen Kinder und vor allem Jugendliche mit einer Geschlechtsdysphorie, also einem erlebten Widerspruch zwischen ihrem biologischen Geschlecht und ihrem Selbstverständnis als Mädchen/ heranwachsende Frau, Junge/ heranwachsender Mann. Manche können und /oder wollen sich keinem eindeutig weiblichen oder männlichen Geschlecht zuordnen, sondern sehen Anteile beider Geschlechter bei sich, oder sie erleben sich in Bezug auf die Geschlechtsidentität als neutral. Aufgrund der modernen Medien finden diese Themen immer mehr Verbreitung und werden mehr Heranwachsenden zugänglich. Sie suchen häufig gezielt nach Informationen, um sich ihr Befinden zu erklären. Auch durch diese Entwicklung entschließen sich vermutlich immer mehr Jugendliche trotz der Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung zu einem Outing."
Welche Auswirkungen kann so ein erlebter Widerspruch für die Betroffenen und auch ihr familiäres wie soziales Umfeld haben?
"Der Widerspruch zwischen biologischem Geschlecht und dem eigenen Identitätserleben geht meist mit einer starken Verunsicherung und einer hohen psychischen Belastung einher. Häufig besteht der Wunsch, entsprechend der eigenen Geschlechtsidentität zu leben und sozial akzeptiert zu sein. Dabei stellen sich Fragen wie: „Ist das vielleicht nur eine Phase?“; „Wie erkläre ich das meinen Eltern?“; „Wie soll ich in der Schule auftreten?“. Manchmal wissen Eltern oder enge Bezugspersonen bereits über das vom Äußerlichen abweichende Identitätserleben Bescheid und bringen ihre ganz eigenen Fragen mit: „Ist das vielleicht nur eine Phase?“; „Wie kann ich mein Kind auf seinem Weg unterstützen?“; „Wie erklären wir das den Großeltern?“. Und es entstehen Fragen rund um die körperliche Angleichung an das eigene Erleben, vor allem in Bezug auf eine mögliche hormonelle Behandlung und medizinische Eingriffe."
Wie unterstützen Sie die Personen, die in Ihre Sprechstunde kommen?
"Unsere Aufgabe ist es, in allen diesen und weiteren Fragen eine Beratung und Begleitung anzubieten. Dabei führen wir zunächst eine differenzierte Diagnostik durch, um die aktuelle psychische Belastung gut zu beschreiben, und leiten darauf aufbauend gemeinsam mit den Kindern, Jugendlichen und ihren Bezugspersonen geeignete Behandlungsmaßnahmen ein, deren Verlauf wird in regelmäßigen gemeinsamen Gesprächen bewerten und die nächsten Schritte abstimmen."