Da die beiden Volkskrankheiten Diabetes mellitus (im Volksmund „Zuckerkrankheit“) und Adipositas (starkes Übergewicht) eng miteinander verbunden sind, laden die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) vom 9. bis 10. November 2018 zu einer gemeinsamen Tagung nach Wiesbaden.
Tagungspräsident (DAG) ist Professor Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin.
Im Interview erläutert Professor Wabitsch den Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Diabetes und welche Ziele sich die beiden Gesellschaften gesteckt haben, um die Prävention aber auch die konkrete Betreuung von Betroffenen zu verbessern. Darüber hinaus gibt er Tipps, wie jeder Mensch mehr Bwegung in seinen Alltag integrieren kann und - vor allem jetzt in der bald beginnenden Adventszeit wichtig - wie man den weihnachtlichen Leckereien widerstehen kann.
- Professor Wabitsch, warum ist es so wichtig, Adipositas und Diabetes mellitus (Typ 2) berufsgruppenübergreifend zu untersuchen und zu behandeln?
Prof. Wabitsch: "Das zu hohe Körpergewicht, das meist die Ursache des Diabetes Typ 2 ist, ist nur teilweise und oft nicht nachhaltig willentlich zu beeinflussen. Durch sehr effektive hormonelle und nervale Regelkreise wehrt sich der Körper gegen eine langfristige Gewichtsabnahme und zeigt die Tendenz, ein einmal erreichtes Höchstgewicht wiederzuerlangen. Wie andere chronische Erkrankungen (Diabetes Typ 2, Bluthochdruck) verlangt sie ein lebenslanges Krankheitsmanagement und ggf. den Einsatz von Medikamenten. Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft empfiehlt gemäß ihrer wissenschaftlichen Leitlinien ganzheitliche, stadiengerechte und individuell abgestimmte, konservative und chirurgische Therapieansätze. Um einen Patienten diesbezüglich zu betreuen, sind mehrere Berufsgruppen notwendig, die im Rahmen eines Schulungsprogramms zusammenarbeiten (Ärztin/Arzt, Diabetesberater*in, Bewegungstrainer*in, Ernährungsberater*in, Verhaltenstherapeut*in, ggf. Chirurg*in).
Heute sind in der DAG mehr als 25 verschiedene Berufsgruppen vertreten, darunter Ärzt*innen in Klinik und Praxis, Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen, Ernährungswissenschaftler*innen/ Oecotropholog*innen, Psycholog*innen und Pädagog*innen, Sporttherapeut*innen und andere. Diese Entwicklung korreliert mit der zunehmenden Bedeutung interdisziplinärer Therapieansätze und der fortschreitenden Erforschung des Ursachengeflechts der Adipositasentstehung."
- Welchen Themen werden sich die Teilnehmenden widmen? Was sind die Ziele der Tagung?
Prof. Wabitsch: "Zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen in Deutschland sind übergewichtig, ein Viertel der Erwachsenen sogar fettleibig (adipös). Das Risiko, einen Diabetes Typ 2 zu entwickeln, ist in dieser Gruppe besonders hoch. Die gemeinsame Tagung der DDG und DAG widmet sich unter dem Motto „Fachübergreifende Versorgung – der Patient im Mittelpunkt“ neuesten Therapien und Präventionsansätzen: Wie können Versorgungslücken in der Adipositastherapie geschlossen werden? Welche Chancen bieten neue Medikamente und Technologien für die Behandlung von Patienten mit Diabetes? Welche neuen Ansätze gibt es in der Prävention und Therapie von Adipositas und Diabetes bei Kindern und Jugendlichen?"
- Welche Risiken gehen mit Adipositas und Diabetes einher, vor allem wenn jemand an beiden Erkrankungen leidet?
Prof. Wabitsch: "Von Diabetes mellitus sind in Deutschland – laut Robert Koch-Institut – mehr als sechs Millionen Menschen betroffen (2012). Das ist eine Steigerung um 38 Prozent seit 1998, nur 14 Prozent davon sind altersbedingt. Jedes Jahr kommen etwa 270 000 Neuerkrankungen hinzu. Bis 2030 wird mit einem Anstieg auf acht Millionen Erkrankte gerechnet.
Die Folgen von Diabetes mellitus sind vor allem dann schwerwiegend, wenn die Erkrankung über lange Zeit unentdeckt oder der Blutzucker unzureichend eingestellt ist. Zu den gravierendsten Folgeerkrankungen gehören Schlaganfall, Herzinfarkt, Netzhauterkrankung bis hin zur Erblindung, Diabetisches Fußsyndrom mit Gefahr der Amputation, und Niereninsuffizienz.
Jedes Jahr erblinden 2 000 Menschen infolge von Diabetes, mehr als 2 000 Menschen werden dialysepflichtig und 40 000 Amputationen werden durch Diabetes verursacht."
- Was können Betroffene tun, um gesundheitliche Risiken zu minimieren? Und was sind effektive präventive Maßnahmen, um Diabetes Typ 2 gar nicht erst zu bekommen?
Prof. Wabitsch: "Mit einer gesunden Ernährung und ausreichend Bewegung können Patienten mit Diabetes Typ 2 die zugrundeliegende Insulinresistenz oft wieder verbessern und ihren Diabetes langfristig ohne Medikamente behandeln. Vor allem regelmäßige, tägliche körperliche Bewegung (Radfahren, Gehen, Laufen) und eine Reduktion der Kohlenhydrat und Zuckerzufuhr kurbeln die Fettverbrennung in den Organen, wie der Leber, und der Muskulatur an und steigern deren Insulinempfindlichkeit wieder. Deshalb stehen in der Therapie von Typ-2-Diabetes die Ernährungstherapie sowie die Steigerung der körperlichen Aktivität an erster Stelle. Erst wenn diese Maßnahmen erfolglos bleiben, soll gemäß Leitlinie mit einer medikamentösen Therapie begonnen werden."
- Die nasskalte Jahreszeit lädt eher zum Entspannen auf dem Sofa als zum Spaziergang oder Sport an der frischen Luft ein. Haben Sie Tipps, wie man mehr Bewegung in seinen (Arbeits-)Alltag einbauen kann? Wie viel körperliche Aktivität empfehlen Sie?
Prof. Wabitsch: "Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt pro Woche mindestens 2,5 Stunden an mäßig anstrengender Ausdaueraktivität sowie an mindestens zwei Tagen in der Woche muskelkräftigende Aktivitäten auszuführen. Dies gilt unabhängig von der Jahreszeit. Laut Daten des Robert Koch-Instituts erreicht nur etwa ein Fünftel der Frauen (20,5 Prozent) und ein Viertel der Männer (24,7 Prozent) in Deutschland beide Empfehlungen. Mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung bewegt sich weniger als 2,5 Stunden pro Woche. Doch regelmäßige Bewegung schützt nicht nur vor Übergewicht und der Entstehung eines Typ-2-Diabetes, sondern senkt auch die Sterblichkeit und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Hier ist also ein Umdenken erforderlich.
Wie viel Sport der Einzelne treiben sollte, hängt unter anderem von der Intensität der Aktivität ab. Wer moderate körperliche Aktivitäten wie Radfahren, bei denen man leicht schwitzt und etwas aus der Puste gerät, ausübt, sollte mindestens 150 Minuten Bewegungszeit pro Woche einplanen. Allerdings fehlt vielen Menschen unter der Woche die Zeit für ausreichend Bewegung. Dennoch gilt: Wenig Sport ist besser als gar kein Sport. Wer am Wochenende nachholt, was in den fünf Tagen zuvor versäumt wurde, kann seine Leistung zwar nicht langfristig steigern, tut aber trotzdem effektiv etwas für seine Gesundheit."
- Was müssen Personen beachten, die übergewichtig sind?
Prof. Wabitsch: "Für Menschen mit der Anlage zu Übergewicht gilt: Um mehr Energie zu verbrauchen und sein Gewicht zu halten beziehungsweise zu reduzieren, empfehlen Expert*innen ausreichend körperliche Aktivität – sowohl im Alltag als auch in der Freizeit. Die Empfehlung ist klar und eindeutig: täglich 10 000 Schritte. Das entspricht etwa 100 Minuten zügigem Gehen pro Tag. Zusätzlich sind circa 150 Minuten Bewegungszeit pro Woche – also moderate körperliche Aktivität in Form etwa von Radfahren oder Schwimmen – notwendig, um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu reduzieren.
Diese Empfehlungen gelten auch für Menschen mit Diabetes. Regelmäßige körperliche Aktivität kann bei Patienten mit Typ-2-Diabetes dazu beitragen, die Blutzucker-, Blutdruck- und Blutfettwerte zu verbessern."
- In knapp 7 Wochen ist Weihnachten und schon jetzt warten an jeder Ecke kulinarische Verlockungen wie Lebkuchen, Christstollen, Kekse oder Glühwein, die viele Kalorien enthalten. Vielen Menschen ist bewusst, dass diese Leckereien nicht unbedingt Bestandteil einer gesunden Ernährung sind. Was raten Sie, wenn man in der Vorweihnachtszeit dennoch nicht völlig darauf verzichten möchte?
Prof. Wabitsch: "Schenken Sie einem anderen Menschen Zeit, um mit ihm zusammen spazieren zu gehen oder auch zu wandern. Nehmen Sie Anteil an seinem Leben und fragen Sie ihn, wo Sie ihn eventuell unterstützen können. Gemeinsam sich zu bewegen geht es besser. Gemeinsam die Ernährung zu ändern spornt an.
Wenn man die süßen Nahrungsmittel mehr und mehr meidet, dann stellt sich das Geschmacksempfinden um und man hat dann gar keine so große Vorliebe mehr für den süßen Geschmack. Einfach ausprobieren!"