Für Klinikseelsorgerin Susanne Englert ist die Zeit des Abschieds gekommen. Neun Jahre begleitete die evangelische Pfarrerin Patientinnen und Patienten der Kliniken am Michelsberg während ihres Aufenthaltes und unterstützte Angehörige und Beschäftigte der Klinik in seelsorglichen Fragen. Hauptsächlich kümmerte sie sich dabei um die Menschen in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und in der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe.
Die Arbeit einer Klinikseelsorgerin ist vielfältig. Im Vordergrund steht die Begleitung von Patientinnen und Patienten. Diese müssen nicht selten lebenswichtige Entscheidungen treffen – und brauchen in diesem Moment jemanden, der ihnen zur Seite steht, ihnen Wege aufzeigt und gemeinsam mit ihnen Antworten auf essentielle Fragen findet. Aber auch Angehörige und Freunde der Erkrankten brauchen häufig Zuspruch und Unterstützung im Umgang mit Krankheit oder Tod. Susanne Englert hat während ihrer neunjährigen Tätigkeit die ganze Bandbreite von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit begleitet, keine leichte Aufgabe. „Wenn ein Kind schwer oder gar lebensbedrohlich erkrankt, ist das immer eine Extremsituation für die ganze Familie. Nach einer entsprechenden Diagnose geraten häufig das bisherige Sinngefüge und die Glaubenssicherheit der Eltern ins Wanken. Das zuvor vorhandene Vertrauen ins Leben ist massiv infrage gestellt. Das mögliche Sterben ihrer Kinder ist für Eltern und Angehörige das absolut Undenkbare", beschreibt die Pfarrerin ihre Erfahrungen in der Kinderklinik. Deshalb sei gerade zu Beginn der Therapie Beratung und Begleitung vonnöten.
Herausforderung: Seelsorge im interkulturellen Kontext
In der Kinderklinik werden auch Kinder aus Arabisch sprechenden Familien behandelt. Was kann Seelsorge da leisten? Susanne Englert sagt: „Zunächst ist es einfach der menschliche Kontakt. Seelsorge als achtsame Präsenz, das Ansprechbarsein für alle möglichen Alltagssorgen und Aufgreifen emotionaler Befindlichkeit. Seelsorge in englischer Sprache, häufig auch mit Händen und Füßen ist für mich alltäglich geworden. Oft lässt dies Raum für Ungewohntes und Überraschendes. Zugleich spüre ich aber beiderseits die Grenzen des Verstehens und des Sich-Mitteilen-Könnens in der fremden Sprache, vor allem wenn es um tiefe innere Prozesse geht." Manchmal ist sie in Situationen geraten, in denen sie die Ohnmacht oder die Grenzen des Sagbaren besonders stark spürte. So zum Beispiel als eine muslimische Familie, die sie über viele Monate kannte, ihr Kind verlor. „Wie gerne hätte ich ein Ritual angeboten, hätte auf vertraute Worte zurückgegriffen, die auch mich tragen, so wie das im christlichen Abschiedssegen der Fall ist. Vielleicht wäre es durchaus möglich gewesen, ein Gebet, einen Segen zu sprechen. Aber es schien mir nicht angebracht, vielleicht auch nicht möglich, das in dieser ausgeprägten Sprachlosigkeit zu klären."
Gedenkfeiern für verstorbene Kinder
Ein wichtiger Punkt für Familien verstorbener Kinder auf ihrem Trauerweg, der noch einmal viele Emotionen wecke und zugleich etwas Tröstliches habe, seien die ökumenischen Gottesdienste. Eingeladen wird bewusst an einen Ort außerhalb der Klinik mit der Möglichkeit zum anschließenden Austausch. Bereits seit vielen Jahren gibt es in der Evangelischen Kirchengemeinde Ulm-Wiblingen einen Gottesdienst zum ‚Worldwide Candle Lighting Day‘ für Angehörige verstorbener Kinder. Dieser findet weltweit am zweiten Sonntag im Dezember statt. Durch Susanne Englerts Kontakte zu Familien in der Kinder- und der Frauenklinik entstand eine engagierte Gruppe betroffener Eltern, die diesen Gottesdienst mit ihr zusammen gestaltete: „Es ist eine große Freude, ihr Engagement und ihre Verarbeitungswege mitzubekommen. Bei manchen durfte ich später gesund geborene Kinder taufen – eine wunderbare Gegenerfahrung angesichts immer wieder stattfindender Nottaufen und häufig damit einhergehender Therapiebeendigung auf der Intensivstation." Schöne Erinnerungen verbindet sie auch mit dem ökumenischen Gottesdienst zu Heiligabend im Hartmut-Blauw Elternhaus der Kinderklinik in Kooperation mit dem Förderkreis für tumor- und leukämiekranke Kinder: „Es ist immer ein sehr berührender Gottesdienst, wo Trauer und Tränen ihren Platz haben."
Intensive Begleitungen nach Schwangerschaftsabbrüchen
In der Frauenklinik waren die beiden gynäkologischen Stationen und die Intensivstation die Schwerpunkte von Susanne Englerts regelmäßiger Präsenz. „Das ethische Dilemma der Paare, die die Diagnose eines behinderten oder nicht lebensfähigen Kindes erhalten und eine Entscheidung bezüglich eines Schwangerschaftsabbruches treffen müssen, findet auch seinen Widerhall in mir. Sie spüren, dass sie eine Entscheidung fällen müssen, die sie eigentlich nicht fällen können", beschreibt die Pfarrerin die Augenblicke von Verzweiflung und Zukunftsangst der werdenden Eltern. Als gewinnbringend bezüglich einer guten Vernetzung erlebte sie den „Runden Tisch Pränataldiagnostik", einen klinikexternen losen Zusammenschluss von Beraterinnen in der Schwangerschaftskonfliktberatung und in Frühförderstellen, von Ärztinnen und Ärzten in der genetischen Beratung oder in Gesundheitsämtern und weiteren Berufsgruppen, die mit der Thematik befasst sind. „Dort erfahren wir Klinikseelsorger und -seelsorgerinnen große Wertschätzung, können selbst beitragen und werden dadurch auch weiterempfohlen", berichtet sie.
Im Sonntagsgottesdienst in der Klinik sieht die Pfarrerin viele Chancen, die der Gottesdienst in der Gemeinde nicht bietet: „Die Gemeinde, die sich da versammelt, ist zufällig zusammengewürfelt. Was sie verbindet ist die Tatsache, dass sie im Krankenhaus sind, als Patientin und Patient oder als Angehörige. Und dass sie sich durch das Herausgehen aus dem Krankenhausalltag und das Hineingehen in einen anderen – spirituellen – Raum innerlich und äußerlich etwas für sich erhoffen. Der Ton des Zuspruchs steht eindeutig im Vordergrund."
„Das gesamte Team der evangelischen Klinikseelsorge dankt Frau Englert für ihren jahrelangen Einsatz und ihr Engagement am Klinikum. Sie hat es geschafft, Trittsteine zu legen, die den Patientinnen und Patienten, den Angehörigen und den Beschäftigten Halt in der Trauer geben können", sagt der geschäftsführende Pfarrer der evangelischen Klinikseelsorge Ulm, Erich Schäfer.
Das unten angehängte Foto zeigt Pfarrerin Englert (Foto: Universitätsklinikum Ulm).
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