Aktuelle politische Entscheidungen zeigten am Wochenende die Bedeutung des Kongressthemas: Der Koalitionsausschuss der deutschen Bundesregierung hatte beschlossen, zu einer Bewährungsstrafe verurteilte Jugendliche kurzzeitig in Haft zu nehmen, um sie abzuschrecken. Die 400 Experten, die aus 30 Ländern zum 3. EFCAP-Kongress (7.- 9.3.2012) gekommen waren, beschäftigten sich mit der Entstehung von jugendlicher Gewalt und der Frage, wie man ihr am besten begegnen kann. Dass der sogenannte Warnschuss-Arrest dabei das beste Mittel sei, zogen viele Wissenschaftler in Zweifel.
Jugendlichen Straftätern aus der Gewaltspirale heraushelfen
„Dass jugendliche Straftäter sich durch scheinbar harte Strafen von weiteren Delikten abschrecken lassen, ist empirisch nicht belegt“, sagt Kongresspräsident Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Ulmer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie. „Von ihrer Umgebung werden Jugendliche, die durch den sogenannten Warnschuss-Arrest kurzzeitig inhaftiert werden, sogar eher als Helden oder Märtyrer gefeiert. Wir sollten nicht versuchen, jugendliche Gewalttäter mit den falschen Mitteln zu erschrecken, sondern ihnen aus der Gewaltspirale herauszuhelfen.“
Der EFCAP-Kongress (European Association für Forensic Child and Adolescent Psychiatry, Psychology and other involved Professions), der heute in Berlin zu Ende geht, zeigte, dass die Frage nach Strafe oder Therapie in vielen Ländern gestellt und unterschiedlich beantwortet wird. So berichtete die Präsidentin des Royal College of Psychiatrists, Professor Sue Bailey, dass nach einer Gesetzesänderung in Großbritannien die Zahl der Arrestplätze für Kinder und Jugendliche um ein Drittel reduziert worden sei. Die Rückfallquote jugendlicher Straftäter sei daraufhin ebenfalls um ein Drittel gesunken.
Gefängnisstrafe ist nicht zwingend die härtere Strafe
„Für jugendliche Gewalttäter ist ein kurzer Gefängnisaufenthalt nicht zwingend eine harte Strafe“, erklärt Professor Fegert, dessen Klinik international sowohl für Opferforschung wie forensische Forschung und Lehre bekannt ist. „Ein härterer, aber nachgewiesenermaßen erfolgreicher Weg ist, die Jugendlichen über einen langen Zeitraum in ihren Familien z.B. mit der sogenannten ‚multisystemischen Familientherapie’ zu behandeln. Hier müssen sie und ihre Familien sich der Realität stellen, die häufig insgesamt von Gewalt geprägt ist, und einen unspektakulären Weg in einen gewaltfreien Alltag finden“, so Fegert.
Die Beschäftigung mit hochauffälligen Jugendlichen ist von einem Randgebiet zu einem zentralen Thema der gerichtspsychiatrischen Forschung geworden. „Die Teilnehmerzahl unseres Kongresses hat sich verdoppelt, es sind viele junge Wissenschaftler gekommen, die wichtige Forschungsprojekte vorgestellt haben. Weltweit stellen sich Gesellschaften die Frage nach ihrem Umgang mit jugendlichen Gewalttätern, die Antworten auf diese Frage sollten wissenschaftlich fundiert sein. Daran arbeiten alle, die am EFCAP-Kongress teilnahmen“, bilanziert Kongresspräsident Fegert.
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