Ärzte des Ulmer Universitätsklinikums haben gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam eine neuartige Behandlung für Patienten mit lymphatischer Leukämie oder Lymphknotenkrebs entwickelt. In zwei klinischen Studien testeten die Wissenschaftler die Wirkung eines neuen Medikaments, Idelalisib, bei Patienten, die aufgrund von Begleiterkrankungen keine Chemotherapie erhalten können. Idelalisib ist ein Hemmstoff, der direkt an den biologischen Eigenschaften der Tumorzellen ansetzt, sodass gesunde Zellen im Körper weniger stark angegriffen werden. „Die Entwicklung innovativer, gezielt wirksamer und gut verträglicher Medikamente bietet neue Hoffnung auf eine schonendere Therapie, vor allem für ältere Krebspatienten“, erklärt Prof. Dr. Stephan Stilgenbauer, Leitender Oberarzt der Ulmer Universitätsklinik für Innere Medizin III. Die Ergebnisse der Studien wurden kürzlich im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Hoffnung für Patienten, bei denen Chemotherapien nicht wirksam sind
Prof Dr. Stephan Stilgenbauer untersuchte in der ersten Studie die Wirkung von Idelalisib bei älteren Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie, einer der häufigsten Leukämieerkrankungen. „Von der neuen Therapie profitieren vor allem Krebspatienten, bei denen aufgrund von Begleiterkrankungen oder vorheriger Behandlung eine normale Chemotherapie nicht mehr wirksam ist“, erklärt der Leitende Oberarzt. In zwei Gruppen erhielten Betroffene, die im Durchschnitt bereits drei Rückfälle erlitten haben, entweder die Kombination aus Idelalisib und einem Antikörper oder einem Antikörper und Placebo (Scheinmedikament). Falls in der zweiten Gruppe keine Wirksamkeit zu verzeichnen war, konnten auch diese Patienten das neue Medikament bekommen („cross over“). Der Behandlungserfolg in den Gruppen ist sehr unterschiedlich. Die Ansprechrate steigerte sich von 13 Prozent, bei der Kombination von Antikörper und Placebo, auf 81 Prozent bei der Behandlung mit Idelalisib. Die Zeit bis zum erneuten Fortschreiten der Erkrankung konnte durch das Medikament mehr als verdoppelt werden. „Besonders erfreulich ist, dass auch Patienten mit einer speziellen genetischen Veränderung an den Leukämiezellen, wie der so genannten 17p-Deletion, einem Verlust des Chromosomenarms 17p, trotz schlechter Prognose ähnlich gut in der Studie profitierten wie die übrigen Patienten“, so Stilgenbauer.
Weniger Nebenwirkungen für eine schonendere Therapie
Idelalisib ist ein Hemmstoff und setzt gezielt an den Strukturen der Tumorzellen an. Das Enzym Phosphoinositol-3-Kinase (P13K-delta), welches Stoffwechselprozesse in der Krebszelle steuert, wird durch das neue Medikament blockiert. Die Signalübertragung des B-Zell-Rezeptors, die für das Überleben von lymphatischen Krebszellen notwendig ist, wird nicht mehr möglich. „Im Gegensatz zur herkömmlichen Chemotherapie wird Idelalisib in Tablettenform eingenommen. Das neuartige Wirkprinzip ist durch weniger Nebenwirkungen schonender für Krebspatienten, die ohnehin unter einem schwächeren Immunsystem leiden“, erläutert PD Dr. Andreas Viardot, Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin III.
In der zweiten Studie wurden Patienten mit Idelalisib behandelt, die unter Lymphknotenkrebs, speziell unter einem follikulärem Lymphom, leiden. Auch diese Krankheit tritt häufig erst im fortgeschrittenen Lebensalter auf. In der Untersuchung profitierten Patientinnen und Patienten, bei denen eine Chemotherapie nicht mehr möglich ist oder die innerhalb von sechs Monaten nach Therapieende einen Rückfall erlitten. „Bei 57 Prozent dieser Studienteilnehmer zeigte sich in der Behandlung eine deutliche Rückbildung der Lymphome um mehr als die Hälfte. Das Medikament ist ein Vertreter aus einer neuen Generation, das die Therapie von lymphatischen Tumorerkrankungen in den nächsten Jahren grundlegend verändern kann“, sagt PD Dr. Viardot.
Vielversprechende Forschungsbasis
Die erfolgreiche Behandlung mit einem derartigen Medikament bietet den Ulmer Ärzten eine vielversprechende Forschungsbasis. „Die Tablettentherapie öffnet Krebspatienten sinnbildlich eine neue Tür. Wir werden an die aktuellen Ergebnisse anknüpfen und in Zukunft untersuchen, ob die Therapie auch bei weiteren Patientengruppen mit anderen bösartigen Erkrankungen des Lymphsystems anspricht“, so Professor Stilgenbauer abschließend.
Durch die Teilnahme an klinischen Studien des Ulmer Universitätsklinikums können Patientinnen und Patienten mit schweren Erkrankungen früh Zugang zu neuen Medikamenten und Therapien erhalten.
Links zu den Originalartikeln
http://www.nejm.org/doi/pdf/10.1056/NEJMoa1315226
http://www.nejm.org/doi/pdf/10.1056/NEJMoa1314583
Angefügt finden Sie ein Foto: (v.l.) PD Dr. Andreas Viardot und Prof. Dr. Stephan Stilgenbauer (Foto: Universitätsklinikum Ulm).
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