Das Kompetenzzentrum für seelische Gesundheit am Arbeitsplatz der Universität Ulm bietet evidenzbasierte und praxisnahe Schulungs- und Trainingsmaßnahmen zur Verbesserung der Stressresilienz. Ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Projekt mit speziellen Angeboten („KMU GO!“) richtet sich speziell an kleinere und mittlere Unternehmen. Teilnehmen an den Trainings zur Stressbewältigung können Führungskräfte aus Firmen mit weniger als 500 Mitarbeitenden. Die Anmeldefrist läuft bis Ende April, das Angebot ist kostenlos.
Der Druck auf Unternehmen in der Corona-Krise ist enorm. Fehlende Umsätze, unklare Perspektiven, ausbleibende Hilfen und dann noch die Zumutungen der digitalen Arbeit auf Distanz. Das stresst insbesondere die Führungskräfte. Denn Home-Office und Videokonferenzen machen es nicht einfacher, Arbeitsabläufe zu organisieren und die Leistung der Mitarbeitenden zu kontrollieren. „Doch Dauerstress macht krank. In den großen Unternehmen und Konzernen wird seit Jahren daran gearbeitet, die eigenen Mitarbeitenden und Führungskräfte resilienter zu machen, um stressbedingten Erkrankungen vorzubeugen. Diese Möglichkeiten haben Familienbetriebe sowie andere kleinere und mittlere Unternehmen meist nicht“, erklärt Professor Harald Gündel, Ärztlicher Direktor der Ulmer Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Vorstand am Leadership Personality Center Ulm (LPCU). Der Ulmer Uni-Mediziner leitet das „KMU-GO!“-Projekt gemeinsam mit Professor Peter Angerer vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Düsseldorf. Weitere wissenschaftliche Projektpartner sind die Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Tübingen sowie die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II in Ulm.
Koordiniert wird das Projekt in Ulm von Dr. Janina Lehmann und Elena Schwarz, die das Angebot kurz zusammenfassen: „Teilnehmen an dem kostenlosen Trainingsprogramm zur Stressbewältigung können weibliche und männliche Führungskräfte aus allen Hierarchiestufen. Voraussetzung ist eine Unternehmensgröße von maximal 499 Mitarbeitenden sowie die Teilnahme der Führungskräfte an der Begleitforschung.“
Ziel des Trainings ist die Förderung der Resilienz der Führungskräfte. Die Teilnehmenden des Trainings sollen darin unterstützt werden, belastende Situationen besser zu verstehen und einen individuellen gesunden Umgang mit Belastungen erlernen. Dazu werden theoretische Grundlagen vermittelt als auch praxisnahe Übungen ausprobiert. „Ein großer Schwerpunkt liegt dabei auf dem eigenen, individuellen Erleben der Führungskräfte. Die Schulung hat also einen hohen Selbsterfahrungsanteil“, betonen Lehmann und Schwarz.
Warum empfinden eigentlich viele Menschen das Arbeiten unter Pandemie-Bedingungen als so belastend? Gute Führung braucht Nähe. Das Arbeiten auf Distanz erschwert die Beziehungsarbeit zwischen Führung und Personal. Videokonferenzen können soziale Interaktionen und Kommunikationssituationen nicht adäquat abbilden. Zur ganzheitlichen Wahrnehmung fehlen die vielen Gesten und kleinen Bewegungen, die uns wichtige Hinweise auf die Befindlichkeit unseres Gegenübers geben. „Diese Nähe brauchen wir, um Vertrauen aufzubauen und Verständnis zu entwickeln. Wenn über eine längere Zeit der persönliche Bezug fehlt und nicht mehr über Sorgen und Ängste gesprochen werden kann, belastet das die Arbeitssituation zusätzlich“, so Professor Gündel.
Das Schulungs- und Trainingsprogramm soll Führungskräfte auch für diese besonderen Herausforderungen sensibilisieren und die Grundlagen für einen gesundheits- und beziehungsorientierten Führungsstil legen. Das Antistress-Training dauert 1,5 Tage. Nach drei beziehungsweise sechs Monaten ist ein dreistündiger Auffrischungskurs vorgesehen. Inhaltlich-fachlich orientiert sich das Stressmanagement-Programm sowohl an der kognitiven Verhaltenstherapie – hier geht es beispielsweise um einen gesunden Umgang mit zwischenmenschlichen Konflikten sowie um den Einsatz emotionsfokussierter Techniken – als auch an psychodynamischen Prinzipien.
Das Projekt „KMU-GO!“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und läuft seit Juli 2020 für dreieinhalb Jahre. Unterstützung erhält das Projekt außerdem von der AOK Baden-Württemberg. Erweisen sich die Schulungen und Trainingsmaßnahmen aus dem Projekt als wirksam, will die Krankenkasse das Anti-Stress-Programm in ihr Gesundheitsangebot aufnehmen. Beteiligt an dem Projekt sind auch Partner aus der Wirtschaft wie die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ulm, der Branchenverband „Südwestmetall“ und die KMU-Initiative „Offensive Mittelstand“.