„Wie funktioniert Lernen in der Zukunft?“, so lautete die übergeordnete Fragestellung, die im Mittelpunkt eines Besuchs des Arbeitskreises Bildung der SPD-Landtagsfraktion und einer Delegation des Kultusministeriums Baden-Württemberg im ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen stand. Dessen Gesamtleiter Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer zeigte sich sehr erfreut über die Diskussionen mit den Gästen zu den Chancen und Risiken einer Nutzung von digitalen bzw. elektronischen Medien.
Eine Frage, die seit Jahren Bildungspolitiker und Eltern beschäftigt: Ist es aus Sicht der Gehirn- und Bildungsforschung klug, Kindergärten und Klassenzimmer möglichst flächendeckend mit Computern auszustatten? „Um mit digitalen Medien und der Fülle der im Internet bereitgestellten Informationen sinnvoll umgehen zu können, ist zunächst ein ausreichend gutes Grund- bzw. Orientierungswissen zwingend notwendig. Das muss auf klassischem Weg erworben werden“, sagte Professor Spitzer. Dieser inhaltliche Unterbau sei unabdingbar, um beispielsweise verlässliche von unzuverlässigen Quellen unterscheiden zu können und Werbung oder Propaganda von neutraler Information. „Nur wer bereits ein gutes Vorwissen hat, kann die im Internet angebotenen Inhalte einordnen und nutzen.“
Lehrerunterstützung als besserer Weg
Dr. Katrin Hille, Psychologin am ZNL, machte gleichzeitig deutlich, dass gut strukturierte elektronische Lernprogramme bestimmte Schülergruppen durchaus sinnvoll unterstützen können, „aber“, so die Bildungsforscherin, „man darf nicht vergessen, dass der gewünschte Lernerfolg nicht bei allen Schülern automatisch gewährleistet ist, nur weil moderne Software eingesetzt wird“.
Der Einsatz von Computern sei kein Allheilmittel. Nicht zuletzt habe eine hauseigene Studie gezeigt, dass schwächere Schüler und solche mit Angst vor Mathematik mit dem in der Studie untersuchten Mathematiklernprogramm nicht besser lernten. „Für diese Gruppe wäre eine Unterstützung durch die Lehrer der bessere Weg gewesen“, erläuterte Spitzer gegenüber seinen Gästen aus Kultusministerium und SPD-Fraktion.
Begreifen im wörtlichen Sinne
Warum ist das eigentlich so? Warum ist effektives Lernen an ganz bestimmte Grundvoraussetzungen gekoppelt? „Natürliche Lernprozesse sind – bei Kindern noch viel mehr als bei Erwachsenen – an das Begreifen im wörtlichen Sinn gebunden“, erläuterte Professor Spitzer einen wichtigen Aspekt und ergänzte: „Lern- und Behaltensprozesse zum Beispiel für Gegenstände sind deutlich besser, wenn die Gelegenheit besteht, diese auch zu greifen, also eine manuelle Tätigkeit auszuführen.“ Auch sei das Mitschreiben oder handschriftliche Zusammenfassen von Informationen gut geeignet, um Behaltensprozesse zu optimieren. „Im Gegensatz dazu steht das bloße Umkopieren von Textblöcken mittels eines Schreibprogramms am Computer“, gab der Ulmer Bildungsforscher zu bedenken.
Eltern benötigen Unterstützung
Für die Bildungsforscher des ZNL steht fest, dass Medien ein grundsätzliches Suchtpotential in sich bergen. „Daher sollte der Einsatz in den Schulen und besonders in Kindergärten – unter besonderer Beachtung des jeweiligen Alters – genau überlegt werden“, sagte Psychologin Hille.
Professor Spitzer beschrieb zudem das ambivalente Verhältnis vieler Familien zu digitalen Medien: „Rund 80% der 12- bis 19-Jährigen besitzen heutzutage ein Smartphone, trotz des in vielen Familien dadurch entstehenden Konfliktpotentials, das sich über Jahre hinziehen kann. Hier bedarf es eines gesellschaftlichen Umdenkens und einer Beratung und Unterstützung der Eltern.“
Die Vertreter des Kultusministeriums und der SPD-Landtagsfraktion nahmen vor diesem Hintergrund eine abschließende Empfehlung mit auf den Weg: Pädagogische Fach- und Lehrkräfte sollten in Aus-, Fort- und Weiterbildungen auf den kompetenten Umgang mit und die Beratung von Eltern vorbereitet werden. So könnte eine sinn- und maßvolle Mediennutzung durch Kinder stark unterstützt werden.
Weitere Informationen
Die Wissenschaftler am ZNL sind davon überzeugt, dass die moderne Gehirnforschung – man spricht auch von kognitiver Neurowissenschaft bzw. „Systems Neuroscience“ – wesentlich zum Verständnis von Lehr- und Lernprozessen beitragen kann. Seit seiner Gründung 2004 wird am ZNL versucht, bildungsrelevante Erkenntnisse der Neurowissenschaften in die Praxis zu übertragen. Das interdisziplinär arbeitende Team aus Psychologen, Pädagogen und Wissenschaftlern weiterer Fachrichtungen betreibt dazu Grundlagenforschung, führt Evaluationen durch und begleitet Bildungseinrichtungen bei der Weiterentwicklung ihrer pädagogischen Arbeit. Im Internet ist das ZNL hier zu finden: www.znl-ulm.de.
Das unten angehängte Foto zeigt Dr. Dipl. Psych. Katrin Hille, Geschäftsführende Leiterin des ZNL, und Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Gesamtleiter des ZNL (Foto: Universitätsklinikum Ulm).
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