Verrauchte Gänge, schrillende Alarmglocken und schutzbedürftige Patientinnen und Patienten – So könnte es aussehen, wenn es tatsächlich in einem Großklinikum brennt. Bei einer Evakuierungsübung des Universitätsklinikums am Standort Oberer Eselsberg ist am Dienstag auf der Anästhesiologischen Intensivstation G1 gemeinsam mit der Feuerwehr simuliert worden, wie intensivpflichtige Patienten im Brandfall schnell und sicher aus dem Gefahrenbereich evakuiert werden können.
„Regelmäßige Evakuierungsübungen sind für Kliniken, die ja zur kritischen Infrastruktur der Daseinsfürsorge zählen, von zentraler Bedeutung“, betont Professor Udo X. Kaisers, Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Ulm. „Nur durch kontinuierliches Training solcher Havarien gewährleisten wir im Katastrophenfall die Sicherheit für unserer Patienten und Mitarbeiter. Auch stellen auf diese Weise sicher, dass die notwendige medizinische Versorgung aufrecht erhalten werden kann. Unerlässlich sind hierfür aktuelle und umfassende Alarm- und Einsatzpläne, in denen klare Zuständigkeiten, Ansprechpersonen und Abläufe bei besonderen Lagen festgelegt sind.“ Wichtig sei überdies, auch seltenere Gefahrensituationen zu üben: wie die Evakuierung einer Intensivstation nach draußen.
Normalerweise wird im Brandfall versucht, von gefährdeten in sichere Bereiche innerhalb des Klinikgebäudes zu evakuieren. Bei der jetzigen Evakuierungsübung wurde jedoch ein Brand im mittleren Brandabschnitt der Station am Oberen Eselsberg simuliert – wodurch der Weg ins Hauptgebäude abgeschnitten wäre. Ein sicherer Fluchtweg führte daher nach draußen auf die Straße. Während also die Feuerwehr damit begann, eine eigens konstruierte Rampe aufzubauen, um den Höhenunterschied zwischen Klinikflur und Straßenniveau mit den Klinikbetten überwinden zu können, bereitete das medizinische Personal die betroffenen Patienten für den Transport unter Evakuierungsbedingungen vor.
Besonders komplex: Transportvorbereitung von Intensivpatienten
Vier von Medizinstudierenden gemimte Intensiv-Patienten sollten bei der Übung gerettet werden. Sie alle waren aufgrund ihrer Krankheitsbilder auf besondere Technik angewiesen, die den Transport zusätzlich erschwerten: Einer von ihnen war an ein Gerät zur Lungenunterstützung (ECMO) sowie an eine laufende Dialyse angeschlossen, ein weiterer lag in einem Spezialbett für übergewichtige Patienten. Alle mussten permanent maschinell beatmet werden. Die Vorbereitung solcher Intensiv-Transporte ist schon unter normalen Bedingungen sehr komplex: Benötigtes Equipment sowie Beatmungsgeräte oder Infusionssysteme müssen bereitgemacht werden – durch den Zeitdruck in einer Evakuierung sind die Behandlungsteams der Intensivstation noch stärker gefordert.
Während der Übung haben die Teilnehmer von einem Moderator ständig neue Informationen darüber erhalten, wie sich der Brand entwickelt: „Der Rauch dringt nun ins Patientenzimmer ein!“, „Die Feuerwehr ist jetzt vor Ort.“ oder „Bei Patient 1 fällt der Blutdruck stark ab.“ Immer wieder mussten die Intensiv-Teams auf neue Herausforderungen reagieren. So lautete schließlich die Ansage des Moderators: „Die Sauerstoffversorgung muss aus Sicherheitsgründen komplett abgeschaltet werden!“
„Derartige Überraschungsmomente, von denen im Vorfeld nur wenige Eingeweihte wissen, sollen die Komplexität erhöhen und so den Stress für die Beteiligten weiter verstärken“, erläutert Professor Ernst Pfenninger, der die Stabsstelle Katastrophenschutz am Uniklinikum leitet und zwölf Jahre lang das Bundesinnenministerium in Fragen des Katastrophenschutzes beraten hat. „Denn Stress kann zu Fehleinschätzungen und Fehlern führen. Doch gerade bei solchen Evakuierungsübungen geht es nicht darum, alles richtig zu machen – ganz im Gegenteil“, ergänzt Martin Neumüller, Leiter der Stabsstelle Sicherheit. „Fehler helfen uns zu erkennen, wo Schwachstellen bestehen und wo wir noch nachbessern müssen.“
Die umfangreiche Evakuierungsübung Ende November wurde unter der Federführung der Stabsstelle für Katastrophenschutz von langer Hand geplant und vorbereitet. Neben den Intensivpflegekräften, der Stationsleitung, Ärzt*innen, technischem Personal und der Feuerwehr waren auch Mitarbeiter*innen der Stabsstelle Sicherheit sowie der Ärztliche Leiter der Station sowie der Leiter der medizinischen Einsatzleitung (MEL) am Universitätsklinikum, Prof. Florian Gebhard (Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie), involviert.
„Die Übung ist wie geplant verlaufen“, resümiert Prof. Pfenninger, der früher als Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie des Klinikums tätig war. „Die gewonnen Erkenntnisse werden jetzt in die Weiterentwicklung unserer Katastrophenschutz-Pläne einfließen.“
Weitere Übung: OP-Evakuierung am Michelsberg
Bereits Mitte Oktober hatte eine vergleichbare Evakuierungsübung am Standort Michelsberg stattgefunden. Im real simulierten laufenden OP-Betrieb wurden die OP-Teams der Klinik für Hals-, Nasen-, und Ohrenheilkunde und die Anästhesiologie mit einem Brandalarm konfrontiert. Schnellstmöglich mussten die „Patienten“ in den nächsten sicheren Brandabschnitt gebracht werden – auch unter Zuhilfenahme von speziell für solche Situationen beschafften Berge- und Tragetücher.
„Feueralarm, Rauchentwicklung, Sauerstoffabschaltung – planbar sind all diese Ereignisse nicht. Aber eine gute Vorbereitung ermöglicht im Ernstfall einen routinierten Umgang mit solch glücklicherweise seltenen Ausnahmesituationen wie einer OP-Evakuierung“, sagte Prof. Thomas Hoffmann, Ärztlicher Direktor der HNO-Klinik zur Übung am Michelsberg.
In Deutschland sind Kliniken gesetzlich verpflichtet, Alarm- und Evakuierungspläne für den Katastrophenfall – also beispielsweise nach Terroranschlägen oder anderen Großschadensereignissen mit vielen Verletzten – vorzuhalten. Seit Mai dieses Jahres wurde auf Initiative von Professor Pfenninger zudem eine Sicherheitskonferenz gegründet, die zusammen mit Polizei, Feuerwehr, DRK, Katastrophenschutz und Bundeswehr ein übergreifendes Not- und Katastrophenfall-Gesamtkonzept für alle Kliniken am Oberen Eselsberg – Universitätsklinikum, Bundeswehrkrankenhaus (BWK) und die Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm (RKU) – entwickelt.