Immer mehr Kinder und Jugendliche haben Probleme, ihr durch die Geburt zugewiesenes Geschlecht mit der selbst empfundenen Geschlechtsidentität in Einklang zu bringen („Geschlechtsinkongruenz“). Eine kürzlich erschienene Studie der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm (UKU) bestätigte, dass die Diagnosen von Geschlechtsidentitätsstörungen bei jungen Menschen innerhalb von zehn Jahren um das Achtfache zugenommen haben. Um Betroffenen entsprechende Unterstützung anbieten zu können, ist unter der Leitung der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKU im Juni das Projekt „EMPOWER-TRANS*“ gestartet. Das bundesweite Projekt wird vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mit einer Summe von 4,9 Mio. Euro finanziert.
Der Wunsch nach Auflösung des Leidensdrucks durch die Geschlechtsinkongruenz führt bei betroffenen jungen Menschen nicht selten zur Inanspruchnahme geschlechtsangleichender medizinischer Behandlungen, wie beispielsweise hormonelle und chirurgische Eingriffe. Die Behandlung und Aufklärung dieser Personengruppe ist häufig komplex und erfordert die Einbindung verschiedener Fachdisziplinen. An die Versorgung von minderjährigen Betroffenen besteht zudem ein besonders hoher Qualitätsanspruch, jedoch stehen hierfür bundesweit nur wenige Spezialzentren und Schwerpunktpraxen zur Verfügung. Die dadurch entstehenden langen Wartezeiten können den Leidensdruck der jungen Menschen zusätzlich erhöhen.
Ziel des Projekts EMPOWER-TRANS* ist die Entwicklung und Implementierung innovativer, digitaler Informations- und Schulungskonzepte für junge Menschen mit Geschlechtsinkongruenz (GI) oder Geschlechtsdysphorie (GD) sowie ihre Familien. „Die betroffenen Kinder und Jugendlichen und ihre Sorgeberechtigten sollen durch das Projekt eine umfassende Aufklärung und individuelle Hilfe für das Selbstmanagement im Alltag erhalten“, verdeutlicht Prof. Dr. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Ulm. „Wir möchten mithilfe einer Online-Plattform eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit schaffen, Betroffenen in ganz Deutschland ausführliche Informations- und Hilfsangebote bereitzustellen“.
Die digitale Plattform erreicht nicht nur eine sehr viel größere Anzahl an Betroffenen, sie setzt auch die fachpersonellen und finanziellen Ressourcen effizient ein. Auf diese Weise besteht die Option, häufig angefragte Informationen bereits vor einem ärztlichen Erstgespräch zu klären. „Die persönlichen Erstgespräche mit einem Arzt oder einer Ärztin können in Folge kürzer und individueller gestaltet werden. Das steigert wiederum die Kapazitäten für eine Terminvergabe und verkürzt Wartezeiten“, erklärt Prof. Annette Richter-Unruh, Projektverantwortliche von EMPOWER-TRANS* und Oberärztin an der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am UKU. Im Erfolgsfall eröffnet das Angebot den jungen, betroffenen Menschen also einen schnellen, niedrigschwelligen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und umfassenden Aufklärung, verringert den hohen Leidensdruck und hilft, eine Unter- und vor allem Fehlversorgung zu vermeiden.
Eine wesentliche Voraussetzung des Projekts ist die Vernetzung und Kooperation mit anderen Kliniken, Fachbereichen sowie diversen Anlaufstellen im Gesundheitswesen. „Nur durch den engen Austausch mit unterschiedlichen Disziplinen und einer Vielzahl an Projektpartnern sind wir in der Lage, die speziellen Anforderungen und individuellen Bedürfnisse der Betroffenen bestmöglich abzudecken“, schildert Prof. Richter-Unruh.
Angesiedelt ist das Projekt bei der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Ulm. Zusätzlich findet auch ein interdisziplinärer Austausch mit den Kolleg*innen der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am UKU (Arbeitsgruppenleiter: PD Dr. Marc Allroggen) statt. Darüber hinaus sind zahlreiche Konsortialpartner (darunter Agaplesion Frankfurter Diakonie Kliniken gGmbH, BARMER, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Evangelische Kliniken Essen-Mitte gGmbH, Universitätsmedizin Greifswald, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Techniker Krankenkasse, Universitätsklinikum Münster) und Kooperationspartner (darunter Pädiatrische Endokrinologie, Endokrinologikum Hamburg; Praxisgemeinschaft Kinder- & Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Ev. Krankenhaus Köln; Trans-Kinder-Netz e.V.; Bundesverband Trans* e.V.; Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität dgti e.V.) an der Planung und Umsetzung des Projekts maßgeblich beteiligt.
Die Entwicklung der webbasierten Plattform startete im Juni 2024. Betroffene Familien können die Plattform voraussichtlich ab dem 01.01.2026 nutzen und an digitalen Schulungsterminen teilnehmen. Gefördert wird das Projekt durch den Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses zunächst bis 30.11.2027.
Ansprechpersonen:
Projektleitung
Prof. Annette Richter-Unruh
Oberärztin der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Ulm
Projektkoordination
Cindy Holland
Mitarbeiterin der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Ulm