Wissenschaftler*innen des Universitätsklinikums Ulm und der Bergischen Universität Wuppertal untersuchen aktuell im Forschungsprojekt „SicherImSport“ die Häufigkeiten und Formen von sexualisierten Grenzverletzungen, Belästigung und Gewalt im Vereinssport sowie den Umsetzungsstand von Schutzmaßnahmen in Sportverbänden. An dem vom Landessportbund Nordrhein-Westfalen geförderten Projekt beteiligen sich zehn weitere Landessportbünde, so dass deutschlandweit Daten erhoben wurden. Die Erhebungen wurden im Sommer dieses Jahres abgeschlossen; erste Ergebnisse liegen nun vor. Die Studie zeigt, dass sexualisierte Grenzverletzungen, Belästigung und Gewalt im Vereinssport vorkommen. Ein großer Teil der Sportverbände hat dieses Problem erkannt und Maßnahmen zur Prävention eingeführt.
Studie befragt über 4.300 Vereinsmitglieder zu ihren Erfahrungen im Vereinssport
An der Online-Befragung nahmen 4.367 Vereinsmitglieder aus Deutschland teil. Damit ist die Befragung die größte Studie zu diesem Thema in Deutschland. Nach den Ergebnissen der »Safe Sport«-Studie aus dem Jahr 2016 können die Forscher*innen nun auch Daten zum Breitensport vorlegen. Ein Viertel der befragten Vereinsmitglieder (26 Prozent) erfuhren mindestens einmal sexualisierte Grenzverletzungen oder Belästigungen (ohne Körperkontakt) im Kontext des Vereinssports, z.B. in Form von anzüglichen Bemerkungen oder unerwünschten Text-/ Bildnachrichten mit sexuellen Inhalten. Knapp ein Fünftel der Befragten (19 Prozent) erfuhren mindestens einmal sexualisierte Belästigung oder Gewalt mit Körperkontakt, z.B. sexuelle Berührungen oder sexuelle Handlungen gegen den Willen. Auch weitere Formen der Verletzung oder Gewalt wurden in der Studie erhoben. So gaben sechs von zehn Personen (64 Prozent) an, mindestens einmal emotionale Verletzungen oder Gewalt im Vereinssport erlebt zu haben, z.B. beschimpft, bedroht oder ausgeschlossen werden. Vier von zehn Personen (37 Prozent) erfuhren mindestens einmal körperliche Verletzungen oder Gewalt, z.B. in Form von geschüttelt oder geschlagen werden und eine von zehn Personen (15 Prozent) erfuhr mindestens einmal Vernachlässigung im Vereinssport, z.B. trotz Bedarf, keine angemessene medizinische Versorgung erhalten zu haben.
Zusammengefasst gaben gut zwei Drittel (69 Prozent) der Befragten an, mindestens einmal irgendeine Form dieser negativen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Vereinssport gemacht zu haben. Insgesamt wurden in der Hälfte der Fälle wiederholte negative Erfahrungen berichtet, vor allem bei emotionaler und körperlicher Gewalt. Zugleich gab die Mehrheit der Befragten an, mit dem Vereinssport insgesamt allgemein gute bis sehr gute Erfahrungen gemacht zu haben. Bei den meisten Vereinsmitgliedern scheint somit der Vereinssport mit überwiegend positiven Erfahrungen verbunden zu sein.
Je höher das sportliche Leistungsniveau ist, desto größer scheint das Risiko zu sein, von Belästigung oder Gewalt betroffen zu sein. So berichten z.B. 84 Prozent der Befragten, die auf internationaler Ebene im Leistungssport aktiv waren, mindestens eine Erfahrung von Belästigung oder Gewalt. Dies trifft im Vergleich auf 53 Prozent derjenigen zu, die im Freizeit- oder Breitensport aktiv waren.
Über 300 Sportverbände geben Auskunft über ihre Maßnahmen zur Prävention und Intervention
In einer weiteren Teilstudie des Forschungsprojektes nahmen 92 Stadt- und Kreissportbünde sowie 215 Sport-Fachverbände in fünf Bundesländern teil und gaben mittels eines Fragebogens Auskunft zum Stand der Prävention und Intervention. Fast alle befragten Verbände bestätigen, dass die Prävention von Gewalt allgemein und insbesondere der Schutz vor sexualisierter Gewalt ein relevantes Thema für sie ist. 63 Prozent der Stadt- und Kreissportbünde und 56 Prozent der Fachverbände gaben an, über fundierte Kenntnisse zur Vorbeugung von sexualisierter Gewalt zu verfügen. Allgemeine Präventionsmaßnahmen wie z.B. Ansprechpersonen zu benennen, Schulungsmaßnahmen durchzuführen und Führungszeugnisse einzusehen, sind in den Verbänden weit verbreitet. Risikoanalysen oder Konzepte zur Aufarbeitung von Vorfällen sind lediglich in gut einem Zehntel der Verbände vorhanden. Den größten Unterstützungsbedarf haben die Verbände bei der Beratung zum Umgang mit Verdachtsfällen oder Vorfällen.
Die Leiter*innen des Forschungsprojektes – PD Dr. Marc Allroggen und Dr. Thea Rau vom Universitätsklinikum Ulm sowie Prof. Dr. Bettina Rulofs von der Bergischen Universität Wuppertal – resümieren: Die Befunde der Studie bestätigen, dass sexualisierte Grenzverletzungen, Belästigung und Gewalt auch im Vereinssport vorkommen. Der Ausbau von Maßnahmen zum Schutz vor Belästigung und Gewalt sowie Anlaufstellen und Unterstützungsangebote für Betroffene im Sport sind wichtig.
Link zum Factsheet:
Kontakt:
- PD Dr. Marc Allroggen, Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie, marc.allroggen@uniklinik-ulm.de; Tel.: 0731 500-61636
- Prof. Dr. Bettina Rulofs, Bergische Universität Wuppertal, Arbeitsbereich Sportsoziologie, rulofs@uni-wuppertal.de, wahnschaffe@uni-wuppertal.de; Tel.: 0202 439-3818 / 0202 439-2303
Hilfsangebote für Beratung oder Unterstützung
Wenn Sie selbst oder Personen in Ihrem Umfeld belastende Erfahrungen gemacht haben und Sie Unterstützung oder Beratung suchen, können Sie sich an folgende Hilfsangebote wenden:
- Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch, Tel. 0800-22 55 530, kostenfrei, anonym, www.hilfe-telefon-missbrauch.de
- Bundesweites Opfer-Telefon des WEISSEN RINGS, Tel. 116 006, kostenfrei, anonym, https://weisser-ring.de
- Infotelefon der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, Tel: 0800 40 300 40, kostenfrei & anonym, https://www.aufarbeitungskommission.de/ihre-geschichte/infotelefon-aufarbeitung/
- Aufruf der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs an Betroffene aus dem Sport: https://www.aufarbeitungskommission.de/themen-erkenntnisse/sport/aufruf-sport/