Bes­sere Not­fall­ver­sor­gung bei psy­chi­schen Erkran­kun­gen

Ulmer For­scher­team ver­öf­fent­licht mul­ti­zen­tri­sche Stu­die

Rund ein Drit­tel aller Not­arzt­ein­sätze haben einen psych­ia­tri­schen Hin­ter­grund. Dabei ist die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung psych­ia­tri­scher Not­fälle oft schwie­rig, denn sie unter­schei­det sich grund­le­gend von soma­ti­schen Krank­heits­bil­dern – wie einem aku­ten Herz­in­farkt oder einem Poly­trauma. Pro­fes­sor Dr. Car­los Schönfeldt-​Lecuona aus der Kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie III und Dr. Bene­dikt Schick aus der Kli­nik für Anäs­the­sio­lo­gie und Inten­siv­me­di­zin des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Ulm (UKU) haben in einer Stu­die Pro­blem­fel­der bei der vor­kli­ni­schen Ver­sor­gung von Pati­ent*innen mit psy­chi­schen Erkran­kun­gen iden­ti­fi­ziert und Lösungs­stra­te­gien erar­bei­tet. Die Stu­die ist nun im renom­mier­ten BMC Emer­gency Medi­cine Jour­nal erschie­nen.  

Bei der Not­fall­ver­sor­gung stel­len Not­fall­me­di­zi­ner*innen eine Erst­dia­gnose und lei­ten eine ent­spre­chende The­ra­pie ein, sodass Pati­ent*innen sta­bil in die Kli­nik gebracht wer­den kön­nen. Dort erfolgt die Wei­ter­ver­sor­gung durch die zustän­di­gen Fach­be­rei­che. Die Not­fall­ver­sor­gung von Men­schen mit psy­chi­schen Erkran­kun­gen – bei­spiels­weise die Into­xi­ka­tion durch Dro­gen, Alko­hol oder Medi­ka­mente, akute psy­cho­ti­sche Zustände bei Pati­ent*innen mit einer Schi­zo­phre­nie oder durch Dro­gen – ist häu­fig zeit­auf­wen­di­ger, die Ein­ord­nung der Erkran­kung schwie­rig und den Pati­ent*innen fehlt mit­un­ter die Krank­heits­ein­sicht. In sel­te­nen Fäl­len müs­sen, auf­grund Selbst-​ oder Fremd­ge­fähr­dung, Zwangs­maß­nah­men mit Hilfe der Poli­zei durch­ge­führt wer­den. 
„Nach der Erst­ver­sor­gung des psych­ia­tri­schen Not­falls gelingt es den Not­ärz­ten häu­fig nicht, eine geeig­nete wei­ter­füh­rende Kli­nik für den Pati­en­ten zu fin­den. Was für den Pati­en­ten mit aku­tem Herz­in­farkt, oder den poly­trau­ma­ti­sier­ten Pati­en­ten undenk­bar ist, näm­lich die Behand­lung in einem dafür nicht geeig­ne­ten Kran­ken­haus, ist für Men­schen mit psych­ia­tri­schen Erkran­kun­gen lei­der etwas was eher häu­fig vor­kommt“, sagt Pro­fes­sor Dr. Car­los Schönfeldt-​Lecuona. „In die­sem Span­nungs­feld kommt es nicht sel­ten zu Kon­flik­ten zwi­schen den betei­lig­ten Ärz­ten“, ergänzt der Psych­ia­ter. „Um die Erst­ver­sor­gung die­ser Pati­en­ten zu ver­bes­sern, haben wir Psych­ia­ter und Not­ärzte befragt, um beide Sicht­wei­sen und Erfah­run­gen auf­grei­fen zu kön­nen. Dabei haben wir sowohl Pro­blem­fel­der als auch Lösungs­vor­schläge eru­ie­ren kön­nen“, erklärt Dr. Bene­dikt Schick. 

Im Rah­men der Stu­die, an der meh­rere Kli­ni­ken betei­ligt waren, wur­den zwi­schen März und Okto­ber 2021 ins­ge­samt 98 Not­ärzt*innen und 104 Psych­ia­ter*innen befragt. 
Die Not­fall­me­di­zi­ner*innen nann­ten die Into­xi­ka­tion, also die Ver­gif­tung, durch Dro­gen oder Alko­hol, als das Krank­heits­bild, das am häu­figs­ten zu Schwie­rig­kei­ten bei der Wei­ter­ver­sor­gung der Pati­ent*innen führt.  Aus psych­ia­tri­scher Sicht wurde die not­ärzt­li­che The­ra­pie als wei­tere Schwie­rig­keit iden­ti­fi­ziert, da man­che Medi­ka­mente, wel­che in der Not­fall­si­tua­tion ver­ab­reicht wer­den, eine wei­ter­ge­hende Über­wa­chung erfor­dern, die in der Psych­ia­trie nicht gewähr­leis­tet wer­den kann. 
Ein wesent­li­cher Kri­tik­punkt aus der not­ärzt­li­chen Per­spek­tive war, dass Pati­ent*innen, die nicht aus dem direk­ten Ein­zugs­ge­biet der Akut­psych­ia­trie kom­men, häu­fig durch die psych­ia­tri­sche Kli­nik abge­lehnt wer­den. In einer Fall­vi­gnette haben die Autoren der Stu­die ver­sucht, das prä­kli­ni­sche Manage­ment abzu­fra­gen und zu opti­mie­ren. Not­fall­me­di­zi­ner*innen und Psych­ia­ter*innen waren sich einig, dass ein indi­vi­dua­li­sier­ter Not­fall­plan für Pati­ent*innen, die wie­der­keh­rend behan­delt wer­den –  was in der Psych­ia­trie keine Sel­ten­heit ist – eine wesent­li­che Ver­bes­se­rung der vor­kli­ni­schen Ver­sor­gung bedeu­ten könnte. Inter­es­san­ter­weise wür­den in die­sem Kon­text aber wesent­lich mehr Not­ärzt*innen den tele­fo­ni­schen Kon­takt zu ihren Kol­leg*innen in der Psych­ia­trie suchen, wäh­rend dies Psych­ia­ter*innen selbst weni­ger häu­fig tun wür­den. 

Sowohl die befrag­ten Not­fall­me­di­zi­ner*innen als auch die Psych­ia­ter*innen teil­ten die Ein­schät­zung des Fort­bil­dungs­be­darfs für Not­fall­me­di­zi­ner*innen, wel­che in der Regel aus dem Bereich Anäs­the­sio­lo­gie, Innere Medi­zin oder Chir­ur­gie stam­men und im Not­arzt­ein­satz auch für die vor­kli­ni­sche Akut­ver­sor­gung psych­ia­tri­scher Not­fälle zustän­dig sind. „Die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen haben meist kaum oder keine psych­ia­tri­schen Kennt­nisse wäh­rend der Wei­ter­bil­dung zum Not­fall­me­di­zi­ner erlangt. Aus unse­rer Sicht ist es daher wich­tig, dass hier mittel-​ bis lang­fris­tig eine Ver­bes­se­rung des Aus­bil­dungs­plans ‚Not­fall­me­di­zin‘ erfolgt, um der immer wei­ter­wach­sen­den Häu­fig­keit psych­ia­tri­scher Not­fälle gerecht zu wer­den“, sagt Prof. Dr. Car­los Schönfeldt-​Lecuona. 

Die For­schungs­gruppe wird durch die Stif­tung BINZ mit 5000 Euro geför­dert. Durch eine Viel­zahl an Fol­ge­pro­jek­ten soll in den nächs­ten Jah­ren sowohl die Pati­en­ten­ver­sor­gung, als auch die Aus- und Wei­ter­bil­dung der Not­fall­me­di­zi­ner*innen in der Behand­lung psych­ia­tri­scher Not­fälle ver­bes­sert wer­den.

Link zur Stu­die: DOI: 10.1186/s12873-022-00722-5

Dr. Benedikt Schick und Prof. Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona vor einem Notarzt-Fahrzeug

Dr. Bene­dikt Schick (links) und Prof. Dr. Car­los Schönfeldt-​Lecuona (rechts) lei­te­ten die Stu­die