Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen mit extremistischen Einstellungen von Patient*innen konfrontiert

Bei einem Fachtag berichtet die Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Ulm von ihrer Studie zu Patient*innen mit extremistischen Ansichten und von Ergebnissen zu einer praxisnahen E-Learning-Fortbildung für das Gesundheitswesen.

Knapp 3.000 Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen haben sich innerhalb von fünf Monaten für die von einem Forschungsteam entwickelte E-Learning-Fortbildung „Extremistische Einstellungen in der ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung.Radikalisierungsprozesse wahrnehmen – einschätzen – handeln“ registriert. Sie thematisiert die häufigsten Fragen im Umgang mit Patient*innen, die extremistische Ansichten teilen und baut auf einer Befragung von Fachkräften aus dem Gesundheitswesen zum Thema Extremismus aus dem Jahr 2022 auf. Am Fachtag am 21.11.24 in Berlin werden die Studienergebnisse und Erfahrungen im Projekt vorgestellt.

Die Studie zeigt, dass extremistische Ansichten bei Patient*innen in der Krankenbehandlung kein Einzelfall sind. An der international ersten Befragung zum Thema nahmen 364 Fachkräfte aus Kliniken und Praxen teil. Über die Hälfte war mindestens einmal bereits mit extremistischen Ansichten von Patient*innen konfrontiert. Rund 12 Prozent gaben an, sich selbst oder eigene Angehörige, als gefährdet gesehen zu haben und die Hälfte berichtete von Gefährdungssituationen für andere Menschen. Ein Großteil der behandelnden Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen wünschten sich dazu Fortbildung. „Die Studienergebnisse zeigen, dass es eines reflektierten Umgangs mit dem Thema bedarf, um kranke Menschen, die Gefahr laufen sich zu radikalisieren oder sich extremistischen Gruppierungen angeschlossen haben, wieder in die Gesellschaft zu integrieren“, sagt die Projektleiterin des dreijährigen Forschungsprojektes an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, Dr. Thea Rau.

Die E-Learning-Fortbildung soll vor allem Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen über Erklärungsansätze von Radikalisierung informieren und anhand von Videomaterial auf Gesprächssituationen mit Patient*innen vorbereiten. Grundsätzlich gilt es zu beachten, dass Einstellungen nur dann zum Thema in der Behandlung oder Therapie gemacht werden sollten, wenn dies als Teil des Behandlungsauftrags gesehen werden kann, beispielsweise, wenn die extremistische Einstellung Folge einer psychischen Erkrankung ist. Auch auf Gefährdungssituationen soll die Fortbildung vorbereiten, deren Inhalte zu diesem Teilaspekt gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden erarbeitet wurden.

Prof. Dr. Marc Allroggen, Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, verweist darauf, dass Gefährdungsmomente ernst genommen werden sollten, sobald psychische Störungen und radikale Einstellungen sowie eine Tatgeneigtheit zusammenkommen. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden sei dann notwendig. Diesen Ansatz verfolge auch der Fachtag, an dem Vertreter*innen aus dem Bundeskriminalamt über die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden berichten und an dem auch das Bundesministeriums des Innern und für Heimat vertreten ist. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wird erörtert werden, wie eine gute Zusammenarbeit zwischen Psychiatrie, Polizei und Fachberatung stattfinden kann. Damit Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen Anlaufstellen für ihre Region zum Thema finden, entwickelte das Universitätsklinikum Ulm eine Webseite mit Kontaktadressen von Fachberatungsstellen im Themenbereich Extremismus und zu behördlichen Anlaufstellen, die Fragen zum Thema beantworten und im Umgang mit Menschen mit extremistischen Ansichten beraten können. Dazu ergänzt Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie: „Mir war es wichtig, Angehörige der Heilberufe für die schwierige individuelle Güterabwägung zwischen Schweigepflicht und Intervention bei Fremd- und Selbstgefährdung zu sensibilisieren und überhaupt den rechtlichen Handlungsrahmen zu vermitteln.“ Dr. Thea Rau und Prof. Dr. Marc Allroggen ziehen Bilanz: „Mit der E-Learning-Fortbildung ist es gelungen, viele Fachkräfte aus Kliniken und Praxen für das Thema Extremismus zu interessieren. Jetzt geht es darum, das Thema im Gesundheitswesen weiter zu verankern!“ Das Projekt „Aktivierung von Angehörigen von Heilberufen für das Thema Extremismusprävention durch Qualifizierung und Vernetzung“ wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch bis Ende des Jahres gefördert. 

Weitere Informationen zum Projekt:
https://heilberufe-extremismus.elearning-gewaltschutz.de/

Symbolbild, Quelle: Pixaby