Arbeitsgruppe Forensische Psychiatrie

Leitung : Dr. biol. hum. Hans-Joachim-Traub Dipl-Psych.

Die Forensische Psychiatrie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie, das sich mit den juristischen Fragen beschäftigt, die sich im Zusammenhang mit kranken Menschen stellen. Das wissenschaftliche Interesse der Arbeitsgruppe richtet sich vor allem auf das Strafrecht, bei dem es um die Beurteilung der Schuldfähigkeit oder der Legalprognose von Straftätern geht sowie auf die Praxis des Maßregelvollzugs. Einrichtungen des Maßregelvollzugs sind Fachkliniken mit hohen Sicherheitsvorkehrungen, in denen psychisch Kranke oder gestörte sowie sucht­mittel­abhängige Menschen behandelt werden.

Bereits seit 1988 wurden in der hiesigen Forensischen Klinik unter dem damaligen Chefarzt Dr. Jockusch die grundlegenden Daten jährlich erfasst und ausgewertet. Nach diesem Muster erfolgte ab dem Jahr 1997 eine Datenerfassung und Statistik für alle Forensischen Kliniken des Landes Baden-Württemberg durch das Sozialministerium. Im Jahre 2009 wurde eine einzelfallbezogenen Dokumentation im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes (Prozessoptimierung im Maßregelvollzug) des Sozialministeriums implementiert und seitdem regelmäßig erhoben, an dem sich die hiesige Arbeitsgruppe beteiligt.

Auf dieser Datengrundlage wird die Darstellung von längerfristigen Entwicklungen im MRV möglich. Durch die Einbeziehung von Angaben der bundesweiten Strafverfolgungsstatistiken sowie der detaillierten Off-Site-Files der Strafverfolgungsstatistik des Forschungsdatenzentrums der Länder von 1995 – 2015 können Bezüge und Vergleiche auf verschiedenen regionalen Ebenen formuliert werden.

 

 

Mitarbeiter

Rosa Engler   - Fachkrankenschwester Forensisch-Psychiatrische Ambulanz

Telefon: 0751-7601-2092

Laufende Projekte

Joachim Traub, Jan Querengässer


Hintergrund: Die Anzahl der juristischen Verurteilungen, bei denen eine verminderte Schuldfähigkeit angenommen wird, ist im Maßregelvollzug gemäß §63 StGB konstant rückläufig. Diese Entwicklung betrifft ähnlich die Delinquenten des Maßregelvollzugs gemäß den §§ 64 und 66 StGB ebenso wie Straftäter mit erheblichen Delikte, die mit mehr als 2 Jahren Haft sanktioniert wurden (jährlich Ø n=9.700; 1995-2018, alte Bundesländer).
Parallel steigen dabei im Maßregelvollzug gemäß §63 StGB die Aburteilungen auf der Grundlage einer kompletten Schuldunfähigkeit an.
Fragestellung: Ergeben sich aus den zeitlichen Verläufen und der Veränderung der soziodemografischen Grunddaten und Deliktkategorien Hinweise auf eine Veränderung der psychiatrischen Begutachtung oder der Rechtsprechung?
Methoden: Datengrundlage sind Angaben (insgesamt N = 316.026 Fälle) des Forschungsdatenzentrums des Bundes und der Statistischen Landesämter (1995-2018) aus den Standardisierten Off-Site-Files der Strafverfolgungsstatistik (EVAS 24311). Es werden die Angaben über den Zeitraum 1995-2018 für die alten Bundesländer und ab 2007-2018 auch für die Neuen Bundesländer für die oben beschriebenen Gruppierungen ausgewertet und die Veränderungen im beschriebenen Zeitraum über lineare bzw. polynome Trendanalysen aufgezeigt.
Ergebnisse: Im Maßregelvollzug gemäß §63 StGB sinkt der Anteil der schuldgeminderten Delinquenten annähernd linear auf zuletzt 19%. Im §64 StGB stagniert deren Anzahl, sinkt relativ aber kontinuierlich (von 43% auf 27%) durch die sonst massiv auf der Grundlage von schuldfähigen Delinquenten ansteigenden Aufnahmezahlen. Im Strafvollzug von Delinquenten mit Haftstrafen über 2 Jahren bleibt der Anteil seit 2007 bei etwa 6%, nachdem er im Zeitraum zuvor teilweise bei über 10% gelegen hatte.
In den Deliktkategorien zeigt sich allgemein ein Rückgang der Verurteilungen mit verminderter Schuldfähigkeit, allerdings besonders bei den Delinquenten mit Sexualstraftaten, die offenbar zunehmend als schuldfähig eingeschätzt werden.

 

Lukas Stürner


Hintergrund: Mit Hilfe dieses Forschungsunterfangen soll ein gründlicher Überblick und Einsicht in die Patientenstruktur des Maßregelvollzugs in Baden-Württemberg dargeboten werden. Angestrebt ist, dieses Vorhaben mit Hilfe einer Clusteranalyse zu realisieren. Möglicherweise lassen sich aus den Ergebnissen ebenfalls Bedarfe diverser Patientengruppen ableiten.
Fragestellung: Inwieweit lassen sich im Maßregelvollzug mittels Klassifizierung homogene Patientengruppen abbilden?
Methode: Eine Clusteranalyse ist eine statistische Methode zur Klassifizierung innerhalb eines Datensatzes, um beobachtete Fälle – konkret: Patient*innen – in homogene Gruppen einzuordnen. Die Clusteranalyse ermöglicht es, verborgene Strukturen in den gewonnenen Daten offenzulegen und die Datenkomplexität zu verringern. Außerdem schafft sie eine komfortable Ausgangslage um weitere Analyseverfahren anknüpfen zu lassen. Als Datengrundlage dient die Forensische Basisdokumentation Baden-Württemberg (FoDoBa). Zur Klassifizierung werden soziodemographische, kriminologische, juristische und psychiatrische Merkmale der Patient*innen herangezogen.
Ergebnisse: Die Klassifizierung der § 63 StGB Untergebrachten in Weissenau antizipiert eine Unterteilung in fünf Patientengruppen. Die Patient*innen derselben Gruppe ähneln sich in soziodemographischen, psychiatrischen und kriminologischen Merkmalen und unterscheiden sich merklich von Patient*innen anderer Gruppen. Außerdem können Zusammenhänge zwischen den Patientengruppen und dem Alter bei Erstdelinquenz, der diagnostischen Prognose sowie der Häufigkeit von Vorfällen während der Unterbringung nachgewiesen werden.
Ausblick: Weitere Analysen sollen an die neu gebildeten Patientengruppen anknüpfen. Außerdem empfiehlt es sich, eine Klassifizierung der Population von bereits entlassenen Patient*innen vorzunehmen.

 

Joachim Traub, Thomas Ross


Hintergrund: Von den Justizverwaltungen wird in Form der jährlichen Strafverfolgungsstatistiken der Statistischen Landesämter eine ausführliche Dokumentation aller Ab- bzw. Verurteilungen erstellt. Auch die Zuweisung in den Maßregelvollzug, der Grad der Schuldunfähigkeit, Anlassdelikte, Vorstrafen, Straflänge, Alter der Abgeurteilten u.a. werden erfasst. Eine Auswertung mit dem Ergebnis zweier Fachartikel erfolgte bereits für die alten Bundesländer im Zeitraum von 1995-2009. Inzwischen liegen die kompletten Angaben für Deutschland für die Jahre 2007-2018 vor.
Forschungsfragestellung: Durch eine Aufarbeitung dieser Informationen über die zugewiesenen Patienten des Maßregelvollzuges soll die weitere Entwicklung im Folgezeitraum erkennbar werden.
Methoden: Die Daten wurden über das Forschungsdatenzentrum der Länder geliefert und vorausgewertet. Die Entwicklung der einzelnen Merkmale im Zeitverlauf wurde bisher über polynome oder lineare Annäherungsgleichungen dargestellt. Die Umsetzung der bisher jahresbezogenen Datensätze zu einem gemeinsamen Datenpool mit der Möglichkeit einer Zeitreihenanalyse bzw. logistischen Regression erschien grundsätzlich sinnvoll, methodisch nach tiefergehenden Überlegungen jedoch fraglich, so dass eine Rückkehr zu einfacheren Aus¬wertungsprinzipien erfolgte.
Ergebnisse: Die neuen Ergebnisse bestätigen weiterhin die Zunahme des Anteiles der schuldunfähigen Patienten im Bereich der §-63-StGB-Patienten bei mittlerer Gewalttätigkeit. Insgesamt ist die Belegung bzw. Prävalenz leicht zurückgegangen, dieser Trend zeigt sich in fast allen Bundesländern. Diese Tendenz ist offenbar Folge einer seit mehreren Jahren abnehmenden Inzidenz bzw. Anzahl an Neuanordnungen gemäß §63 StGB durch die Justiz, wobei sich zuletzt wieder Anzeichen einer erneuten Zunahme der Neuanordnungen ergeben. Die Verweildauer hatte 2014 ein Maximum mit etwa 9,5 Jahren erreicht, inzwischen hat sie sich wieder deutlich um etwa 2 Jahre verkürzt. Die einzelnen Bundesländer unterscheiden sich deutlicher in der Verweildauer als in den Belegungszahlen. Aufgrund der deutlichen Änderungen der Zahlenverhältnisse bei einigen für die Behandlungspraxis relevanten Variablen wird sich das Behandlungsmilieu in den deutschen Maßregelvollzugseinrichtungen mittelfristig erheblich ändern.

 

Joachim Traub, Erich Flammer


Hintergrund: Auf den sechs Stationen einer forensisch-psychiatrischen Klinik wurde in den vergangenen 5 Jahren seit 2016 beobachtet, dass die kumulative Dauer der Zwangsmaßnahmen pro betroffenem Fall (weit überwiegend Isolierungen) stark anstieg. Parallel ergab sich eine Phase der massiven Überbelegung durch vermehrte juristische Einweisungen. Inzwischen hat sich die Belegungssituation wieder entspannt, nachdem eine neue Station und zwei weitere interne Wohnheimbereiche geschaffen werden konnte. Die Dauer der Zwangsmaßnahmen blieb aber auf einem hohen Niveau.
Forschungsfragestellung: Ist der erhöhte Einsatz von Zwangsmaßnahmen eine Folge der Überbelegung oder haben veränderte Patientenmerkmale einen entscheidenden Einfluss?
Methode: Die ausführlichen Angaben zu Patientenmerkmalen der Forensischen Basisdokumentation Baden-Württemberg (FoDoBa) von 2016 - 2020 werden mit den Informationen zu Zwangsmaßnahmen aus dem elektronischen Krankenhausinformationssystem (KIS) zusammengeführt, ergänzt durch die monatliche Belegungsstatistik der Forensischen Psychiatrie. Zur Prüfung einer möglichen Wirkung der Überbelegung werden Daten zur Belegung und patientenbezogene Daten Jahres 2016 mit denen des Jahres 2020 verglichen.
Ethikvotum: Gemäß der Ethikkommission der Universität Ulm ist ein Ethikvotum für Studien, in denen anonymisierte Daten analysiert werden, nicht erforderlich.
Ergebnisse: Das Ausmaß der zeitlichen Veränderung von Patientenmerkmalen wurde mit Anzahl und Dauer der Zwangsmaßnahmen korreliert. Es ergab sich ein allgemein erhöhtes relatives Risiko für Zwangsmaßnahmen bei Patienten mit Intelligenzminderung und bei Patienten mit zurückliegender Flucht-/Migrationserfahrung, wobei der Anteil der „Neuen Migranten“ zugenommen hatte. Das relative Risiko dieser Patientengruppen blieb konstant, unabhängig vom Anstieg der Zwangsmaßnahmen. In der Schlussfolgerung wird davon ausgegangen, dass der Anstieg der Zwangsmaßnahmen nicht auf Veränderungen in der Patientenpopulation zurückzuführen ist, sondern als Folge der Überbelegung zum werten ist.

 

Joachim Traub: Mitarbeit bei dem vom Sozialministeriums Baden-Württemberg initiierten Projekt (Leitung: Jan Bulla, Thomas Ross; Reichenau)


Hintergrund: Zwischen den Landgerichtsbezirken in Baden-Württemberg gibt es zum Teil er¬hebliche Unterschiede in den Einweisungsraten in die forensische Psychiatrie wie unterschiedliche Prävalenzwerte (Bettenmesskennziffer) und Behandlungsdauern der einzelnen Forensischen Kliniken.
Forschungsfragestellung: Aktueller Forschungsschwerpunkte wurden keine formuliert, die jährlichen Erhebungen wurden fortgeführt.
Methoden: Die Forensische Basisdokumentation Baden-Württemberg (Fodoba) enthält 35 Kernbereiche oder Items, die in weitere Kategorien mit Wertelisten aufgefächert werden. Insgesamt sind rund 140 Eintragungen zu machen. Die Angaben sind anonymisiert, aber jeweils einzelfallbezogen. Die Entwicklung der einzelnen Merkmale über den Zeitverlauf von inzwischen 12 Jahren wird über eine lineare Trendanalyse dargestellt.